Gastbeitrag von Stefan Randak, Direktor und Leiter der Solution Group Automotive, erschienen in der Börsen-Zeitung am 09. 09. 2017
ANSCHLUSS AN DIE KONKURRENZ AUS CHINA NICHT VERLIEREn
Anschluss an die Konkurrenz aus China nicht verlieren
Was ist nur los mit der europäischen und insbesondere der früher so allmächtigen deutschen Automobilindustrie? Warum die einstige Vorzeigebranche derart schwächelt, erörtert Stefan Randak, Leiter der Solution Group Automotive bei Atreus, in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung.
Die Zukunft beginnt nicht erst 2020 oder später – Wir sind schon mittendrin!
China entwickelt sich zur führenden Automacht. Aus den USA greifen Tesla und Google an. Warum sich die europäische Automobilindustrie im internationalen Vergleich zunehmend schwertut, erklärt Stefan Randak, Leiter der Solution Group Automotive bei Atreus, in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung.
Die lauernde Gefahr
Ein leistungsfähiger Elektromotor ist keine große Herausforderung. Jeder kann ihn bauen. Ein Motor “made in Germany” ist nicht mehr maßgebend. Viel wichtiger sind zukünftig die Car Connectivity, die Sicherheit, die autonome Fahrfähigkeit des Fahrzeugs und sein Design. All dies sind Faktoren, an denen auch die Amerikaner und Chinesen unter Hochdruck arbeiten. Darüber hinaus ist es eine enorme Chance für alle Newcomer, aus welchen Ecken sie auch kommen.
Die Chinesen
Die Volksrepublik China ist mittlerweile der wichtigste Automarkt der Welt. Pro Jahr werden ca. 25 Millionen Fahrzeuge verkauft, Tendenz stark steigend. Der Anteil der Dieselfahrzeuge ist verschwindend gering. 2016 wurden ca. 409 000 reine Elektrofahrzeuge zugelassen. Die Anzahl der Ladestationen hat sich innerhalb eines Jahres verzehnfacht (jetzt ca. 100 000). Das von der Regierung initiierte Subventionsprogramm für den Automobilsektor startete 2016 und läuft noch bis 2020. Auch die Regierung hat die Notwendigkeit alternativer Antriebe erkannt, um nicht im Smog der Verbrennungsmotoren zu ersticken: 8 % aller neu zugelassenen Autos müssen ab 2018 elektrisch sein, 2019 bereits 10 %, und 2020 müssen 12 % geliefert werden.
Die chinesische Autoindustrie ist damit auf dem Sprung zur Automacht. Auf “Altes” muss nicht Rücksicht genommen werden. Man bewegt sich, ausgestattet mit schier unendlichem Kapital, auf unbelastetem Terrain. Nicht die europäischen Anbieter, sondern BYD (Build Your Dreams) ist der weltweit größte Elektroautohersteller. Inzwischen baut BYD seine eigene Batteriefabrik, die Teslas Gigafactory ebenbürtig sein soll. Great Wall schickt sich gerade an, den siebtgrößten Autobauer der Welt (Fiat Chrysler) zu übernehmen, und investiert ebenso kräftig in die Elektromobilität.
Auch der Autokonzern Geely ist mittlerweile ein Global Player. 2010 wurde bereits Volvo übernommen, 2013 wurde die Fertigung der Black Cabs gekauft, die zukünftig nur elektrisch fahren werden, nicht nur in Großbritannien. Seit 2015 läuft dort darüber hinaus eine völlig neue Fabrik, die ausschließlich Hybridautos fertigt. Und Start-ups aus China wie Borgward, NextEV/Nio, Linq, FMC, LeSee oder Faraday Future setzen von Anfang an auf Elektrofahrzeuge.
Damit die neuen Denkfabriken der Chinesen vorankommen, holt man sich nicht selten deutsche Kapazitäten, also Manager, denen in ihren “alten Konzernen” als Innovationstreiber keine Zukunft geboten wurde. Beispiele hierfür sind Carl-Peter Forster (früher Opel, jetzt Geely) oder Carsten Breitfeld (früher BMW, jetzt Future Mobility). Batteriefabriken entstehen gleich parallel. Beispiele hierfür sind die Gigafabrik von BYD und die Bauvorhaben von Daimler und Tesla.
Die Amerikaner
Die USA sind der zweitwichtigste Automarkt der Welt. Jährlich werden ca. 17,5 Millionen Fahrzeuge verkauft, Tendenz ebenfalls steigend. Der Anteil an Dieselfahrzeugen ist verschwindend gering. Die Notwendigkeit alternativer Antriebe hat sich bis dato nur partial durchgesetzt. Geht es nach US-Präsident Trump, dürfen US-Neuwagen zwischen 2022 und 2025 deutlich mehr CO2 und Stickoxide ausstoßen als bislang geplant. 30 Großstädte wollen jedoch dagegenhalten und ködern mit Aufträgen für Elektrofahrzeuge. Diverse Staaten wie Kalifornien und New York denken über eigene Regelungen nach.
Die klassische amerikanische Autoindustrie tut sich schwer mit dem unausweichlichen Umbruch. Sie gilt als “veraltet” (Ford, GM) oder wurde bereits aufgekauft (Chrysler). Nach wie vor ist sie dem klassischen, SUV-getriebenen Verbrennermarkt mit hohem Verbrauch bei niedrigen Energieanschaffungskosten der Endverbraucher verhaftet. Es sind die neuen, heute aber bereits globalen Player wie Tesla, Google und Apple, die den Platzhirschen das Leben schwermachen: Googles Fahrzeuge fahren längst autonom im Silicon Valley. Apple hat sich im April die Erlaubnis des kalifornischen Staates erteilen lassen, selbstfahrende Autos auf den Straßen zu testen. Es ist nur noch eine Frage des Produktionspartners und des endgültigen Fahrzeugkonzeptes, wann diese Kapitalriesen zuschlagen.
Tesla will pro Jahr 500 000 Fahrzeuge reinen Elektroantriebs absetzen und ist mittlerweile global aufgestellt. Das jüngste Model X ist ein Verkaufsschlager. Wenngleich das Unternehmen noch nicht profitabel wirtschaftet und die Absatzzahlen der Big Player noch in weiter Ferne liegen, ist es unbestritten auf dem besten Weg. Die eigene Batteriefabrik, die größte weltweit, hat ihre Arbeit in Reno/Nevada zumindest schon mal aufgenommen. Sie soll den Eigenbedarf bis 2020 zukünftig selbständig abdecken.
Die Europäer
Europa ist derzeit der drittgrößte Automarkt der Welt. Jährlich werden ca. 16 Millionen Fahrzeuge verkauft. Der Anteil der Dieselfahrzeuge ist überwältigend und liegt bei über 40 %. Was den Antrieb angeht, sind sich die europäischen Regierungen uneins. Frankreich und Großbritannien wollen bis 2040 Verbrennungsmotoren einstellen. Norwegen bereits 2025. Alle Incentive-Programme zur Förderung von Elektromobilität zeigten bis dato nur geringfügige oder gar keine Wirkung.
Die deutsche Regierung meidet solche Aussagen, unter Rücksichtnahme auf die Lobby der großen Hersteller, wenngleich viele Kritiker der Meinung sind, dass erst eine klare Vorgabe des Gesetzgebers die hiesige Elektromobilität voranbringen kann. Das jüngst noch angepeilte Ziel von 1 Million E-Autos auf deutschen Straßen musste die Bundesregierung beschämend zurücknehmen.
Tesla Einhalt gebieten
Volkswagen, derzeit noch vollends mit der facettenreichen Dieselaffäre beschäftigt, will bis 2025 führend in der Elektromobilität werden und jährlich ca. 1 Million batteriebetriebene Autos verkaufen. Für 2019 ist der direkte Tesla-Gegner zum Model 3 geplant: VW CUEVe soll in etwa das Gleiche kosten wie ein vergleichbarer Diesel. “Man ist sich sicher, Tesla Einhalt gebieten zu können”, so Markenvorstand Herbert Diess am 5. Mai 2017 beim Jahresgespräch des Unternehmens in Wolfsburg, ohne jedoch ein Wort über die Chinesen oder Amerikaner zu verlieren.
Bei BMW sind es offensichtlich die Aktionäre, die auf einen schnelleren Ausbau der Elektromobilität dringen. “Warum sind wir beim Thema Elektromobilität als Säbelzahntiger gestartet und als Bettvorleger gelandet?”, musste sich Vorstandschef Krüger auf der BMW-Hauptversammlung seitens der DSW Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz offen fragen lassen. Das führende BMW-Kern-Entwicklungsteam für Elektromobilität um Carsten Breitfeld verließ 2016 das Haus und arbeitet heute für Future Mobility. Dahinter stehen Tencent Holdings, Foxconn und China Harmony Auto. Hierbei handelt es sich um chinesische Unternehmen, die ernsthafte Konkurrenz zu Tesla & Co. aufbauen wollen.
Der Stuttgarter Autobauer Daimler lässt sich seine Elektromobilität mehrere Milliarden kosten, die Weichen hierzu wurden jedoch erst letztes Jahr gestellt. Bis 2025 sollen zehn E-Fahrzeuge entwickelt werden, wozu 10 Mrd. Euro investiert werden. Bis 2025 sollen Elektroautos 15 bis 25 % des Absatzes ausmachen. Von Batteriefabriken kann man – mit Ausnahme des kleinen Daimler-Werkes in Kamenz/Sachsen – in Europa nur träumen, sieht man von den Vorhaben von LG in Polen und Samsung in Ungarn ab.
Für die europäischen und deutschen Hersteller ist dieses Segment fest in den Händen der Japaner und Koreaner: Samsung und LG. Die berechtigten Fragen von Betriebsräten aus reinen deutschen Verbrennungsmotoren-Fabriken (zum Beispiel Salzgitter/VW und Untertürkheim/Daimler) nach einer potenziellen Zukunft im Elektrobereich verhallen derzeit ohne konkrete Antworten. Nach den jüngsten Auseinandersetzungen in der “Kartellaffäre” sind auch potenzielle Pläne für eine gemeinsame Batteriefabrik undenkbar geworden. Die Entscheidung für ein richtig großes Werk fällte Daimler kürzlich in Richtung China. Dort soll zusammen mit BAIC für 650 Mill. Euro eine neue Batteriefabrik entstehen.
Auch die deutschen Zuliefergrößen wie Bosch wenden sich in Sachen Elektromobilität weg von Europa. Bosch unterzeichnete ein Kooperationsabkommen mit dem chinesischen Internetunternehmen Baidu. “China ist mit zuletzt 28 Millionen produzierten Fahrzeugen nicht nur der größte Automobilmarkt, sondern auch bei der Entwicklung des Internet der Dinge (IoT) und künstlicher Intelligenz (KI) vorne mit dabei”, kommentierte der CEO von Bosch.
Abwerben von Ideenträgern
China ist bereits der größte Markt für Fahrzeuge aller Art, auch für Elektromobilität. Die chinesischen Hersteller entwickeln sich zu Absatzmeistern und sind dabei, die Platzhirsche aus Deutschland zu verdrängen. Nach Wirtschaftsspionage und Unternehmenskooperation folgt nun die Abwerbung von Managern und Ideenträgern aus der hiesigen Automobilwirtschaft. Batteriefabriken entstehen neben der Zusammenarbeit mit deutschen Spitzen-Automobil-Technologieträgern wie zum Beispiel Bosch (Nr. 1 der Tier-1-Automobilzulieferer). Amerika und insbesondere Europa haben dem derzeit nichts Sichtbares entgegenzusetzen. Die großen Hersteller sind in ihrer Verteidigungsposition des klassischen Verbrennungsmotors sowie Ansagen für ihre eigene Zukunft der Elektromobilität verhaftet. Diese beginnt jedoch nicht erst 2020 oder später. Wir sind schon mittendrin!
Autor dieses Artikels: Stefan Randak
Stefan Randak ist Leiter der Solution Group Automotive. Sein Fokus sind Projekte in Vertrieb & Marketing, Controlling & Finance, Einkauf & Logistik, Entwicklung & Produktion, Restrukturierung & Change Management, sowie die interimistische Besetzung von Topmanagement-Positionen.
Dabei befasst er sich vorrangig mit der Automobilbranche.
Artikel erschienen in: Börsen-Zeitung, 09.09.2017