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Expertentalk HR

Die Bedeutung der Unternehmenskultur

Wie schafft man eine gesunde Unternehmenskultur?

Darüber spricht Atreus Direktor Harald Smolak im Expertentalk mit Boris Diekmann, Client Director und Head of Culture Shaping D|A|CH, Heidrick & Struggles.

Die Unternehmenskultur kann vieles in Unternehmen beeinflussen, doch was genau ist Unternehmenskultur und wie lässt sie sich verbessern? Boris Diekmann ist seit 20 Jahren Experte auf diesem Gebiet, aktuell bei Heidrick & Struggles als Head of Culture Shaping D|A|CH.

Weshalb Unternehmenskultur mit einem selbst anfängt, was die Aufgabe von HR und dem C-Level ist und inwiefern der Herzstand wichtig bei geschäftlichen Entscheidungen ist, erfahren Sie in diesem Expertentalk.

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Boris Diekmann
Head of Culture Shaping D|A|CH, Heidrick & Struggles
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„Die Unternehmenskultur ist das Fundament für die Umsetzung von Strategie. Sie formt die Qualität der Beziehung zwischen uns im Unternehmen. Die Qualität der Unternehmenskultur definiert, wie schnell Entscheidungen und Ideen fließen können.“

Im Folgenden finden Sie eine Abschrift des Expertentalks, die aus Gründen der Deutlichkeit bearbeitet wurde.

Harald Smolak: Herzlich Willkommen bei Atreus zu unserem Dreiteiler HR Expertentalk. Gestartet hatten wir die Reihe mit dem Thema “Erfolgreich führen” und heute geht es um Unternehmenskultur. Dafür habe ich meinen wertgeschätzten Kollegen Boris Diekmann zu uns nach München eingeladen. Boris, schön, dass du zu uns gekommen bist.

Boris Diekmann:  Hallo Harald, schön hier zu sein.

Harald Smolak: Boris hat Unternehmenskultur und Führung in seiner DNA. Er arbeitet daran schon seit zahlreichen Jahren. Boris, könntest Du uns ein wenig mehr zu Dir erzählen?

Boris Diekmann: Ich bin bei Heidrick Consulting verantwortlich für den Bereich Unternehmenskultur in der D|A|CH-Region. Das Thema Unternehmenskultur begleitet mich seit etwa 20 Jahren. Es ist wahrscheinlich die wertvollste und schönste Aufgabe, die ich mir vorstellen kann. Wir begleiten typischerweise sehr erfolgreiche Unternehmen dabei, sich noch systematischer mit dem Thema Unternehmenskultur auseinanderzusetzen.

Harald Smolak: Unternehmenskultur ist ein etwas abstrakter Begriff. Mich interessiert, Wie Du als Insider, der sich so lange mit Unternehmenskultur beschäftigt hat, das Wort Unternehmenskultur für dich definierst.

Boris Diekmann: Es gibt darauf keine einfache, schlüssige Antwort. Es gibt ganz viele Perspektiven, und ich biete vielleicht zunächst eine davon anbieten. Unternehmenskultur ist zum Beispiel auch das, was genannt wird, wenn Menschen abends nach Hause gehen und der Ehepartner oder Freund fragt, wie war dein Tag heute? Was Menschen dann über ihre Erfahrungen im Büro an dem Tag sagen, über die Meetings, die Gespräche, die E-Mails, die sie erhalten haben. Wenn sie sagen: “das war ein spannender Tag heute”, “Wir haben spannende Themen gehabt und uns ein bisschen daran gerieben, aber ich habe das Gefühl, wir sind vorangekommen” und sie fühlen sich bestärkt und kraftvoll. Das ist Unternehmenskultur. Oder sie sagen: “noch so ein Tag”. Dieses Gefühl haben Menschen über 365 Tage. Ich würde sagen, Unternehmenskultur ist die Art und Weise, wie Menschen fühlen und denken und deshalb täglich entscheiden und handeln, allein und im Team. Das betrifft daher absolut alles, die Qualität jedes Meetings, die Qualität jeder Entscheidung. Die Summe dieser Entscheidungen führt zu den Betriebsergebnissen, die wir haben. Unternehmenskultur ist also, wenn du so willst, der Raum, das Fundament. Es ist vielleicht auch die Qualität der Beziehung zwischen uns. Diese Qualität definiert, wie schnell Entscheidungen, Ideen zwischen uns fließen können. Insofern ist Unternehmenskultur das Fundament für die Umsetzung von Strategie. Und die Struktur und die täglichen Operations, das tägliche Handeln. Dafür ist es der Rahmen und manchmal nenne ich es auch das Öl im Getriebe.

Harald Smolak: Es ist interessant, dass du dieses Beispiel genannt hast. Wir haben ja sehr viele Interviews bei Atreus, auch um neue Kollegen einzustellen. Einer meiner Kernfragen ist immer am Schluss, “Wenn sie heute nach Hause gehen und sie teilen ihre Eindrücke von Atreust ihren Liebsten mit, was würden sie da sagen?” Was ist die Stimmung? Was ist das Gefühl? Du hast es mit Gefühl bezeichnet. Gefühl ist ja ein Begriff, bei dem harte Manager eigentlich sagen, “das Gefühl, ja, also, darf das überhaupt sein im Business?” Wir sind alle Menschen. Und das Gefühl, das wir haben, ist ja nicht immer das gleiche. Wir sind multiple Persönlichkeiten. Wir sind einmal glücklich, dann haben wir in der Nacht einen Albtraum, dann sind wir total verstört. Und manchmal geht es einem auch nicht gut. Beides darf sein. Um jetzt auf diese Frage zurückzukommen, wie gelingt es eigentlich einem Unternehmen, dass man so grundsätzlich, also nicht jeden Tag, aber grundsätzlich ein Gefühl entstehen lassen kann, dass Mitarbeiter sagen: “ich gehe gerne in die Arbeit. Ich freue mich heute auf meine Kollegen. Und bin froh, dass ich in so einer Gemeinschaft agieren und arbeiten kann.” ? Gerade zu Zeiten von Corona war das ja ein bisschen anonym.

Boris Diekmann: Das ist eine große Frage. Ich glaube, es hilft Individuen und Teams und Organisationen zunächst, sich dessen bewusst zu sein und es anzuerkennen, dass es jeden von uns in unterschiedlichen Stimmungszuständen gibt und dass das relevant ist fürs Business. Es gibt mich in, höheren Gemütszuständen, Stimmungen – ich nenne es manchmal “offener Herzstand” – und es gibt mich in weniger gesunden Gemütszuständen. Relevant ist es deshalb, weil ich in diesen etwas höheren Gemütszuständen einfach mehr Perspektiven habe. Die sind nicht besser, die sind einfach nur anders.

In komplexen Situationen, unter Zeitdruck, in schwierigen Situationen sehen wir mehr, denken wir mehr, sind im besten Falle intelligenter und klüger. Man ist sowohl rational, intellektuell als auch emotional klüger in höheren Gefühlszuständen, also wenn man gelassen, ruhig ist, sich verbunden fühlt. Wenn das gesehen wird, wenn man das mit einpreist, dann wird die Frage der Führung eine ganz andere. Dann wird die Frage der Führungskraft oder eine ihrer wesentlichen Dienstleistungen, sich zu fragen: “Was kann ich noch tun, damit ich etwas öfter in höheren Gefühlzuständen bin, und wie kann ich den Schaden vermeiden, wenn ich es mal nicht bin.” Denn es ist ganz normal, dass ich mal frustriert oder wütend bin. Aber es macht einen himmelweiten Unterschied, ob ich frustriert bin oder mir dessen bewusst bin, dass ich es gerade bin. Denn dann kann ich immer noch Entscheidungen fällen. Und meine zweite Aufgabe ist, was kann ich noch tun, damit die Menschen, die ich direkt oder indirekt berühre, häufiger in höheren Frequenzen unterwegs sind. Weil ich weiß, das zahlt auf jede Entscheidung ein, auf absolut alles, 24 Stunden lang.

Das ist der Startpunkt, das heißt: Wie Menschen sich fühlen, nicht auszuschließen, sondern ganz bewusst einzuschließen. Oft höre ich den Satz: “Wir sind ja nicht so emotional.” Das halte ich für einen putzigen Satz. Ich glaube, man kann nicht nicht fühlen. Mein Bruder ist Langstreckenpilot bei der Lufthansa. Und ich erfahre von ihm ganz viel darüber, was professionelle Piloten lernen, wie sie mit einer enormen Verantwortung umgehen, was sie üben und praktizieren, damit die Maschinen regelmäßig ankommen. Das hat sicherlich sehr viel mit Technologie zu tun, das hat aber auch sehr viel mit Bewusstsein und mit Gefühlen zu tun. Zwei Beispiele dazu: Das erste Beispiel handelt davon, wenn im Cockpit jemand ein Thema anspricht. Für diesen Fall praktizieren die Piloten, dass sie sagen “name the feeling”, also benenne das Gefühl, um dem anderen zu helfen, dessen Gefühl besser zu verstehen. Wir wissen Dinge oft sehr viel früher, als wir sie ausdrücken können.

Ein zweites Beispiel: Wenn ein Pilot das Gespür hat – wir würden es vielleicht auch Intuition nennen – dass etwas nicht stimmt, darf er die Maschine am Boden lassen, auch wenn er oder sie es noch nicht rational begründen kann. Das ist hilfreich, denn wenn er warten müsste, bis er rationale Argumente dafür findet, könnten in der Zwischenzeit Menschenleben in Gefahr geraten.

Im Grunde können wir es uns heute in der Führung und in Unternehmen nicht mehr leisten, nur einen Teil unserer Intelligenz zu nutzen. Nur etwa fünf Prozent von allem, was wir denken, ist uns bewusst. Mit diesem bewussten Teil können wir großartige Dinge leisten, wie Maschinen bauen und Satelliten ins All schicken. Aber die anderen 95 Prozent zu ignorieren, wäre ein großer Fehler. Wir müssen uns fragen, wie wir auch diese unbewussten Anteile häufiger einbeziehen können. Das ist die große Aufgabe.

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„Die eigene Meinung zu sagen oder die Offenheit, zu sagen , wie es in einem selbst gefühlsmäßig aussieht, erfordert Mut. Aber wenn auf der anderen Seite die Grundlage dafür gegeben ist, dass man wirklich an der Meinung oder an den Gefühlen der anderen interessiert ist, dann braucht man den Mut gar nicht haben.“

Harald Smolak: Das beantwortet noch nicht die Frage, was wir konkret tun können, aber es ist hochinteressant, was du an dem Beispiel mit den Piloten beschrieben hast. Piloten arbeiten ja nach Checklisten, um sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist. Jetzt bringst du den Aspekt des Gefühls mit rein, was für mich eine ganz neue Erkenntnis ist, die aber Sinn macht.

Boris Diekmann: Absolut, und ich glaube, die Frage ist nicht nur interessant, sondern es geht auch darum, konstant sowohl rational als auch emotional zu handeln. Ein Freund von mir, der mehrere Bücher geschrieben hat, sagte einmal, er fälle Entscheidungen mit dem Kopf, mit dem Herz und mit der Seele. Eines Tages, nachdem wir zusammen ein paar Drinks hatten, fragte ich ihn, was er damit genau meint. Als Geschäftsmann und Investmentbanker konnte er mir erklären, dass es konkret bedeutet, sowohl rationale als auch emotionale Aspekte in Entscheidungen einzubeziehen. Und er sagte, wenn ich Entscheidungen fälle, dann stelle ich zuerst meinem Kopf die Frage: “Macht das so Sinn?” Pros und Contras und die Zahlen, Daten, Fakten, die sind unabkömmlich, das ist ganz wichtig. Und er sagte: “Egal, was mein Kopf mir sagt, auch wenn der Kopf sagt, das macht Sinn, frage ich trotzdem noch mein Gefühl, ich frage mein Herz.” Und die Frage ans Herz ist: “Fühlt sich das gut an oder überhaupt, wie fühlt sich das an?”

Jeder von uns kennt das, dieses unbestimmte Gefühl – ich habe da noch ein Störgefühl, aber ich kann dir nicht sagen, warum. Wir wissen sehr viel mehr, als wir ausdrücken können. Und auch das kennen wir, manchmal dieses unbestimmte Gefühl – da ist etwas, lass uns dem Instinkt folgen. Wissenschaftler wie Max Planck, Einstein, haben schon früh gesagt: “Ja, ich bin Wissenschaftler, aber meine Intuition sagt mir, wo ich als Nächstes gucken soll.”

Und wir brauchen beides, in einer Welt, die unvorhersehbar ist, die sich rasant schnell verändert. Und dieses Gefühl, dem kann ich nach meiner Erfahrung am meisten trauen, ich sage jetzt mal im weitesten Sinne, wenn ich gesund bin, wenn es mir gut geht. Dann ist diese Stimme sehr intelligent. Wenn ich unten in meinem Stimmungsaufzug bin oder in einem geschlossenen Herzstand, dann sagt mir mein Gefühl manchmal Dinge, die so gar nicht stimmen: “Das ist alles dramatisch, das wird so nicht funktionieren.”

Das heißt, konstant zu üben, diese Dimension mit reinzunehmen, übrigens auch ganz praktisch in Meetings, wenn es um Entscheidungen geht, innezuhalten, zu sagen: “Lass uns mal ein bisschen herumgehen. Wie geht es dir damit jetzt gerade? Wie fühlt ihr euch damit?” und zu schauen, was kommt da noch, was ausgedrückt werden will. Auf dem Weg kann ich gezielt all diese Intelligenz in den Raum holen, um dann damit Entscheidungen fällen zu können.

Es ist also aus meiner Sicht gar nicht esoterisch oder weit hergeholt, sondern einfach eine gute Praxis, alles, was uns zur Verfügung steht, und nicht nur den kleinen Teil hier oben konstant mit einzubeziehen. Und das macht auch gesunde Unternehmenskulturen aus.

Harald Smolak: Hochinteressant. Jetzt hast du zum zweiten Mal den Begriff Herzstand erwähnt. Vielleicht für unsere Zuhörer, was meinst du mit Herzstand?

Boris Diekmann: Naja, ich wollte mit Herzstand einfach beschreiben, dass es unser Herz, unsere Gefühle in allen möglichen Zuständen gibt. Und wir haben bestimmt viele hundert Gefühle und Stimmungen, die wir beschreiben können. Für den Alltag dachte ich, es ist vielleicht ein bisschen praktischer zu sagen, im Grunde gibt es ja eigentlich nur zwei. Es gibt Stimmungen und Gefühle, in denen im weitesten Sinne unser Herz offen ist. Das heißt, Gefühle, in denen du und ich uns verbunden fühlen, in denen ich neugierig bin, in denen ich mich inspiriert fühle, Kraft habe.

Und es gibt Zustände, in denen im weitesten Sinne wir Angst haben. Es würden einige sagen, ich bin vielleicht besorgt. Ja, das ist Angst. Im Grunde gibt es uns in liebevollen, mitfühlenden Zuständen und in angstvollen Zuständen. Und die angstvollen sind, wie gesagt, nicht schlecht. Angst ist ein entscheidendes, wichtiges, essenzielles Gefühl. Sonst würde sich die Natur gar nicht die Mühe machen, dieses Gefühl überhaupt existieren zu lassen. Nur kann es uns eben auch einfrieren und den Zugang zu unseren Ressourcen verhindern.

Und das habe ich einfach mit dem Wort Herzstand, also als Ableitung von Zustand. Im Englischen würde ich es nennen State of Heart und State of Mind. Und die beiden Sachen, also der Zustand, in dem sich mein Geist befindet, und der Zustand, in dem sich mein Herz befindet, sind aufs Engste miteinander korreliert. Und ich fand es einfach hilfreich, dafür einen einfachen, fassbaren Begriff zu haben.

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Boris Diekmann
Experte für Unternehmenskultur
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„Im Grunde können wir es uns heute in der Führung und in Unternehmen nicht mehr leisten, nur einen Teil unserer Intelligenz zu nutzen. Nur etwa fünf Prozent von allem, was wir denken, ist uns bewusst. Mit diesem bewussten Teil können wir großartige Dinge tun, wie Maschinen bauen und Satelliten ins All schicken. Aber die anderen 95 Prozent zu ignorieren wäre ein großer Fehler. Wir müssen uns fragen, wie wir auch diese unbewussten Anteile häufiger einbeziehen können.“

Harald Smolak: Jetzt sind wir bei einem wichtigen Punkt. Weil kognitiv ist das alles einleuchtend, wertschätzende Unternehmenskultur. Das zu leben ist eine große Herausforderung, eine hohe Aufgabe, die eigentlich uns alle angeht. Und jetzt wäre meine Frage, wie gelingt es in so einen offenen Herzzustand, den man natürlich dazu braucht, um die Offenheit zu haben, auch das eine oder andere in Richtung positive Unternehmenskultur, ich weiß nicht, ob positiv das richtige Wort ist, herbeizuführen, und zwar nachhaltig oder längerfristig?

Boris Diekmann:  Spannende Frage. Und danke, dass du nochmal bei dem Wort positiv gut anhältst. Ich weiß noch nicht, ob ich das bessere Wort habe. Ich nenne es meist gesündere Unternehmenskultur. Und würde vielleicht eine Sache vorwegschicken. Ich glaube, dass diese gesunde Unternehmenskultur in allen Unternehmenskulturen bereits verfügbar ist. Es ist nicht so, dass sie außerhalb von ist und weit in der Ferne ist. Sie ist zu jedem Zeitpunkt da und verfügbar. Sie ist nur nicht immer zugänglich. Also all die Ressourcen, die ich als Einzelner habe und die wir als Team haben, wie neugierig zu sein, ein hohes Maß an Eigenverantwortung, was können wir noch tun? Diese Art und Weise, gesund zu denken, wenn schwierige Dinge bevorstehen, die steht uns allen zur Verfügung. Sonst wären wir gar nicht da. Die Unternehmen wären schon lange insolvent gegangen. Das heißt, die eigentliche Aufgabe betreffend, wie kann ich vielen Menschen häufiger und regelmäßig und systematischer ermöglichen, schneller und häufiger dazu Zugang zu haben und den Schaden zu vermeiden, wenn es mal nicht so ist. Das ist das eine. Und das zweite ist, dass die Unternehmenskultur jetzt gesünder ist, das heißt, dass Unternehmenskultur mehr als eine Initiative, ein Projekt ist. Man sagt wie wir machen jetzt mal Unternehmenskultur, was dir suggeriert, das hat einen Anfang und Ende, das ist ein Projekt, sondern es muss die gleiche Aufmerksamkeit bekommen. Genauso wie ich nicht sagen würde, Strategie, das haben wir ja letztes Jahr schon gemacht. Strategie ist eine Praxis. Es ist konstant. Sie fragen, wo stehen wir, wo könnten wir, wo wollten wir hin und wie könnte man das schaffen? Dieser Denkprozess. Jeder macht den jeden Tag. Manchmal machen wir ihn für eine gewisse Phase etwas systematisiert. Die Prozesse und die Organisation ist etwas, worum sich jede Führungskraft täglich kümmert. Wie könnten wir das noch effizienter anders machen etc. Und Unternehmenskultur ist etwas, was ich quasi konstant vorne auf dem Radar habe. Wie fühlt sich dieses Meeting jetzt gerade an? Wie geht es den Menschen? Weil ich spüre das im Raum, ob es Unausgesprochenes gibt oder nicht. Findet das eigentliche Meeting eigentlich jetzt hier statt? Oder wird es stattfinden, sobald die Türen geschlossen und wir sagen, „Also was hat der Herr da gesagt, das glaubst du doch nicht wirklich.“ Und vor dem Hintergrund können wir uns fragen, was sind die Erfolgsfaktoren dafür? Aus unserer Erfahrung der letzten 30 Jahre sind es vier Dinge, die, ich benenne sie mal kurz, die natürlich so in dieser Form, das ist so ein bisschen Consulting Sprech, das ist mir schon klar. Aber es hilft mir und den Organisationen, mit denen wir arbeiten, ihnen einen Namen zu geben, sodass es besprechbar wird. Das ist Purposeful Leadership. Ich nenne es manchmal auch beseelte Führung. Personal Change, das heißt innere Veränderung, Momentum und Masse und das Alignment der Systeme. Purposeful Leadership bedeutet, dass dem Leadership, dem oder der CEO und dem Top Team, intellektuell und emotional, intellektuell vollkommen klar ist, wie sich eine Investition in die Unternehmenskultur aufs EBITDA auswirkt. Es muss eine klare Line of Sight geben, dass wir in unsere Unternehmenskultur, in die Gesundheit des Unternehmens investieren, weil wir der festen Überzeugung sind, dass sich das monetarisiert. Umgekehrt, manchmal, wenn wir im ersten Gespräch sind, frage ich den CEO, und wenn ihr nicht in Unternehmenskultur investieren wollt, wenn ihr sie also einfach so lasst, wie sie ist oder sie seinem eigenen Schicksal überlasst, was dann? Und wenn das dem Management nicht vollkommen klar ist, dann macht es keinen Sinn, weil es dann ein Projekt ist. Es muss, und das gilt für Unternehmenskultur auf dem Start, es muss CEO-led sein. Ich selbst bin HRler gewesen, und das HR-Team ist mein erster Stakeholder, mein erster Partner. Ohne HR geht es nicht. Und es darf nicht nach HR schmecken. Genauso wie die strategische Struktur muss klar sein, das ist Chefsache. Das ist das Erste zu Purpose Religion. Das Zweite, es muss den Führungskräften eine Herzenssache sein. Dafür müssen jetzt nicht alle, ich sag mal im weitesten Sinne, besonders emotional sein, um dieses Wort dann doch einmal zu nutzen. Aber es muss allen ein echtes Anliegen sein. Wir lassen dieses Unternehmen einen stärkeren Zustand, als wir es gefunden haben. Und das ist die treibende Kraft. Das ist das Erste. Das Zweite ist innere Veränderung. Warum? Und was meine ich damit? Das ist einfach gesagt und natürlich nicht etwas, was man einfach so anweisen kann. Das ist eine innere Reise, und Menschen sind wunderbare, mystische Wesen. Es bedeutet, dass Menschen kein Programm folgen, sie folgen nicht Werten. Es ist nicht schlecht Werte zu haben. Aber Menschen folgen nicht Programmen, sie folgen nicht Folien. Sie folgen am Ende des Tages Menschen. Und eine Unternehmenskultur ändert sich nur dann, wenn sich in der Art und Weise, wie Menschen sehen, etwas ändert. Marcel Proust sagte mal, die eigentliche Reise besteht nicht darin, neue Landschaften zu entdecken, also neue Inhalte, etwas Neues zu begreifen, sondern mit anderen Augen zu sehen. Und das kann man 100 Prozent übertragen auf Unternehmenskultur. Würde es um Inhalte gehen, dann könnte man einfach ein Buch schicken, liest das mal durch und dann passt das. Und viele Programme rund um Unternehmenskultur werden auch so gedacht. Der unausgesprochene Gedanke ist folgender. Ich sehe Verhaltensweisen, die ich nicht mag, vielleicht verständlicherweise. Ich nehme wahr, das sind Symptome, dort ist nicht genügend Eigenverantwortung. Dort ist nicht genügend Teamwork. Der einzige Grund, warum ich mir erklären kann, dass die das nicht leben, , ich tue das ja schon, ist, weil sie etwas nicht verstanden haben. Ergo, wir schreiben das einmal auf. Vielleicht ist es ja nicht allen klar genug. Wir nennen das dann Werte. Und dann erklären wir diese Werte mittels, nennen wir es mal, Trainings. Und wir machen das auch lautstark und mit viel Echo und sagen noch, und wenn ihr das nicht macht, habt ihr ein Problem mit Performance Management. Das funktioniert nur nicht, weil dort nicht der Hebel ist. Der Hebel liegt innen, weil Menschen zu jedem Zeitpunkt das machen, was für sie Sinn macht. Es ist entweder logisch oder psychologisch. Das heißt, erst wenn sich in mir irgendetwas verändert, kann sich überhaupt irgendetwas verändern. Alles andere ist nur Makulatur. Und dafür muss man Räume schaffen, auf die sich Menschen einlassen, wo sie sagen, ich hätte nicht gedacht, dass ich, alter Hase, noch Dinge erkenne. Das ist der zweite Teil, Personal Change. Drittens, Momentum und Masse. Unternehmenskultur betrifft alle. Dann ist jedes Unternehmen ein bisschen eine Normalverteilung, aber es reicht nicht, sich mit 20 auf die Reise zu machen. Es braucht ein erträgliches Maß an Geschwindigkeit. Ich muss viele Menschen berühren, sodass du weißt, dass ich weiß, dass wir gemeinsam auf einer Reise sind und wir Hoffnung haben. Menschen müssen daran glauben. Glauben deshalb, weil sie ja schon viele Programme gemacht haben. Na, jetzt machen wir wieder so ein Kulturprogramm. Da stellt sich jetzt vorne jemand hin und erklärt mir das Leben. Dann verneigen wir uns einmal vor den Werten und dann wird alles besser, aber ich hoffe, das geht bald vorbei. Dieser unausgesprochene Gedanke ist nach meinem Dafürhalten häufig da. Und das vierte und letzte sind die Systeme. Zum Beispiel, wie wir Performance-Management machen. Denn alles, was existiert, absolut alles, jede KPI, jede Policy, basiert ja auf meinen tiefsten Glaubenssätzen über Menschen. Wenn ich anders über Menschen denken würde, dann würde es andere Policies geben oder es würde sie gar nicht geben. Ein konkretes Beispiel. Ich habe vor vielen Jahren mal für ein Unternehmen in Dubai gearbeitet. An meinem Schreibtisch war ein Blumenstrauß und eine Käppi zum Willkommen. Und ich wollte einen Kollegen in London anrufen, aber es funktionierte nicht. Ach, du willst ins Ausland telefonieren? Ja, klar. Ja, da brauchst du eine PIN von der IT. Wieso brauche ich denn eine PIN-Nummer von der IT? Na ja, was glaubst du denn, würde passieren, wenn die alle hier ins Ausland telefonieren? Weißt du, wie teuer das wird?

All die Menschen, die hier sitzen, haben sechsstellige Gehälter, oder? Aber wir trauen ihnen nicht zu, ein Telefon verantwortungsvoll zu benutzen. Was sagt das aus über mein Menschenbild und welche Nachricht suggeriert das in denen? Was glaube ich über dich? Das heißt, das ist jetzt ein kleiner Prozess, eine kleine Policy. Performance Management ist der große und es gibt noch viele andere. Wie machen wir Townhalls, etc., pp.? Diese vier Dinge, wenn die sich in der Mitte überlagern, dann bewegen sich Unternehmenskulturen. Das bedeutet jetzt nicht, da ist ein Programm, das setzen wir einfach mal um. Es ist messy. Aber es hilft uns, quasi eine Ausrichtung zu finden, wo müssen wir hinschauen und zu verstehen, während auch Unternehmenskultur genauso professionell gehandhabt werden muss wie jede Initiative, wie das Rollout eines SAP-Projektes. Das plane ich auch, das gilt natürlich auch für Kultur. Und doch muss ich es als eine strategische Entscheidung sehen. Das ist etwas, was bei uns immer weit vorne sein wird. Manchmal gibt es eine Initiative dazu. Aber Unternehmensgestaltung ist nicht eine Aneinanderreihung an Workshops, so wichtig die auch sein mögen.

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„Solange wir Unternehmenserfolg und Kultur als ein “entweder – oder” begreifen, sind wir auf dem Holzweg. Der Erfolg wird durch Menschen kreiert und durch nichts anderes. Alles, was wir dafür tun können, dass dieses menschliche “Betriebssystem” in Bestform funktionieren kann, zahlt auf das EBITDA ein.“

Harald Smolak: Sehr interessant. Ich habe sehr interessiert zugehört und habe mir parallel gedacht, so Geschäftsführer sind auch gegenüber ihren Stakeholdern maßgeblich auch in einem Austausch und was wir jetzt gerade bei Bayer erlebt haben, hat nicht geklappt. Und zugleich soll es gelingen, die Mannschaft zu begeistern, ihm zu folgen. Wie könnte es gelingen, das beides übereinzubekommen?

Boris Diekmann: Wenn ein Unternehmen beispielsweise gekauft wird, dann ist die Erwartungshaltung, dass dieses Unternehmen in den nächsten Jahren überproportional oder analog der Businesspläne, die man dem Käufer gezeigt hat, zu erfüllen bzw. zu übererfüllen. Das setzt die Geschäftsführer einem hohen Druck aus, diese Zahlen zu erreichen. Unabhängig jetzt von der wirtschaftlichen Situation, die es möglicherweise in einer Zeit gibt, wo das notwendig ist und wo die wirtschaftliche Situation nicht einfach ist. Und zugleich ist natürlich eine Übernahme eines Unternehmens immer mit einer gewissen Unsicherheit verbunden. Das heißt, es muss auch solchen Unternehmen gelingen, in dieser Unsicherheit Vertrauen innerhalb dieser Mitarbeiter zu schaffen. Eine riesige Herausforderung. Um beides in einer gewissen Synchronität zu erreichen, ist eine große Herausforderung, die man erstmal managen muss. Und ich habe gelernt, über viele Jahre Organisationsentwicklung und Coaching, dass der Mensch, wenn er unter Druck ist, wieder auf die Erfolgsfaktoren der Vergangenheit zurückgreift, mit dem, wo er glaubt, sich sicher zu fühlen. Jetzt ist natürlich Unternehmenskultur ein Feld, wo man sagt, ich muss investieren, ich muss Vertrauen herbeiführen, und zugleich muss ich die Zahlen erreichen. Wie könnte das funktionieren? Da gibt es auch keinen Masterplan und doch gibt es so viele Antworten, dass ich nun mal ein paar hier mit in den Raum reinhole. Ich glaube, der erste Gedanke, ist überhaupt erstmal wahrzunehmen, dass solange ich Unternehmenserfolg und Kultur als ein Entweder-oder- begreife sind wir schon auf dem Holzweg. Dieser Erfolg wird durch Menschen kreiert und durch nichts anderes. Es ist die einzige Spezies, die wir einstellen, wir stellen nur Menschen ein. Das heißt, alles, was wir dafür tun können, dass dieses Menschliche, ich nenne sie mal, diese Betriebssysteme in Bestform funktionieren können, zahlt auf das EBITDA ein. Wie sollte es auch sein? Es gibt genügend Studien, wie eine Studie, die wir gemacht haben mit 500 CEOs, die eindeutig a posteriori belegen, dass es eine sehr starke Korrelation gibt zwischen EBITDA, meist doppelt so hoch bei den gesünderen Unternehmenskulturen als bei denen, die hinten dran sind. Ich würde sogar aber noch weitergehen, Unternehmenserfolg und Kultur korrelieren nicht! Die Unternehmenskultur ist die Quelle für Unternehmenserfolg und umgekehrt. Wenn die Unternehmenskultur ungesund ist, sind Unternehmen weniger agil. Menschen wollen dort nicht bleiben. Es ist einfach, sie wegzurekrutieren. Wenn die Unternehmenskultur gesund ist, dann muss ich dir viel Geld zahlen. Die Leute sagen, nein, das kannst du mir nicht nehmen, hier will ich bleiben. Ich habe hier Freunde, Verbindungen. Ich lerne hier, ich entdecke Dinge, ich wachse als Mensch. Das ist der Ort, wo ich sein will. Ich werde hier geschätzt und gehört. Da musst du mir erstmal was bieten. Ich kenne es von einem unserer Kunden, die sehr unter Corona gelitten haben. Ich sprach mit der Personalleiterin kürzlich und sagte, ich weiß jetzt mit Sicherheit, dass das, was wir tun, sich auswirkt. Ich kriege Anrufe von Menschen, die uns verlassen haben, die sagen, ich höre so vieles über Unternehmenskultur. Darf ich wieder zu euch kommen? Das wäre nur ein Wirkungsmechanismus. Wenn das Unternehmen aus Menschen besteht, dann kann doch nur alles, was diesen Menschen zuträglich ist, im Business ziehen. Und da rede ich nicht über Wellbeing. Da rede ich nicht über mehr Sport machen. Es geht darum, dass dieser Mensch sich entfalten kann. Dazu gehört, sich im nächsten Schritt  darüber bewusst zu werden, was brauchen Menschen. Es fängt schon mal damit an, dass was ich als Führungskraft, eine Dienstleistung ist. Zu dieser Dienstleistung mag vieles gehören, wie zum starken Teil dazu, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen überhaupt gut denken können. Denn fürs Denken werden wir letzten Endes bezahlt. Wie kann ich diese Denkräume so gesund machen? Und dazu gehören manchmal sehr einfache Dinge. Zum Beispiel die Qualität, in der wir zuhören. Und ich komme jetzt zu deinem Beispiel, wenn viele Mitarbeiter das Unternehmen verlassen mussten. Die Gefühle sind nun mal da, ob ich das nun mag oder nicht. Ich kann jetzt gegen diese Gefühle arbeiten oder ich kann mit ihnen arbeiten. Erstmal ist es Energie. Es ist Kraftstoff. Die Frage ist, ob ich ihn umwandeln kann und in eine Richtung lenken kann, die im Unternehmen dienlich ist. Und in unserem Unternehmen passiert natürlich eine Reihe von Verletzungen. Nehmen wir mal das Beispiel, wenn Unternehmen sich von Mitarbeitern trennen müssen, weil es in diesem Fall erforderlich war, aus welchen Gründen auch immer. Jetzt kann ich sagen, wir gehen nach vorne und das hat sicherlich seinen Wert. Menschen brauchen Hoffnung, eine Richtung. Was kommt als Nächstes? Das brauchen sie. Und gleichzeitig muss diese Verletzung Raum bekommen, zu heilen. Das kann ich ignorieren oder ich kann akzeptieren, dass es so ist, wie es ist. Das bedeutet konkret zum Beispiel, dass ich mich mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen häufiger zusammensetze und frage wir haben keine Agenda. Wie geht es euch? Wie fühlst du dich, dass das überhaupt existieren darf? Denn es braucht Kraft, dieses Gefühl konstant zu unterdrücken. Es kommt dann nämlich letzten Endes bei der Zigarettenpause raus.. Die Wahl, die ich habe, ist, erfahren Menschen, dass sie alles sein dürfen oder nur einen ganz kleinen Teil, denn das kostet Kraft. Und das Zweite ist, der Stress und die Angst, die Menschen unternehmen, erleben, die ist ja nicht kreiert. Wir bringen alle ein bisschen von dieser Angst, von dieser Angst und diesem Stress mit. Es gibt in jedem von uns einen beträchtlichen Teil, der gesund ist. Gesund bedeutet, da fließen Sachen. Und dann gibt es Dinge, wo wir auf Widerstände treten, nämlich, wir zensieren uns, wir sind so, weil Angst da ist. Und das bringen wir alle mit rein. Wir sagen dann, das ist normal, das ist so im Unternehmen. Es ist nur normal aus der Sicht von den Teilen von uns, die verletzt sind. Wenn diese Teilen gesunden, dann wird etwas anderes vollkommen normal. Wenn ich ein sehr gesundes Unternehmen bin, ist es vollkommen normal, dass Menschen sich über alles Mögliche austauschen. Nur ich habe eine vollkommen bescheuerte Idee. Ja, hau mal raus, erzähl mal. Und die Idee, dabei Angst zu haben, ist denen noch nicht mal gekommen. Das fließt einfach durch und trifft auf keine Hindernisse. In anderen Unternehmen, wo wir konstant Distanz wahren, das fängt an mit Siezen und anderen Dingen. Ich war mal in einem Unternehmen, wo wir sagten, ja, wir haben eine Distanz, muss ja auch sein. Dort ist die Distanz normal, weil die Angst da drin noch stark ist und noch nicht heilen konnte. Wenn die nicht da wäre, hätten die eine vollkommen andere Geschwindigkeit. Manchmal sind es aber auch viel einfache Dinge. Es ist Wertschätzung. Und Wertschätzung bedeutet nicht, dass ich dir dauernd sagen muss, Mensch, Harald, ich schätze dich sehr. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber es kann zum Beispiel bedeuten, dass ich dich spüren lasse, dass ich an deiner Meinung ernsthaft interessiert bin. Was für eine enorme Wertschätzung. Das macht Menschen stark.

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Harald Smolak: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den du jetzt genannt hast, weil die eigene Meinung zu sagen oder die Offenheit, wie es in mir selbst gefühlsmäßig aussieht, fordert Mut. Aber wenn auf der anderen Seite die Grundlage dafür gegeben ist, dass man wirklich interessiert ist an der Meinung oder an den Gefühlen der anderen, dann braucht man den Mut gar nicht haben, weil es kommt, es fließt trotzdem. Also man sagt es, weil man gar nicht auf den Gedanken kommen würde, wenn ich das jetzt rauslasse, das könnte negativ für mich sein. Ich habe mit einem Kunden zusammen gesagt, wir brauchen mehr mutige Gespräche. Und ich fragte ihn, warum brauchst du denn überhaupt Mut? Wie wäre es denn, wenn es keinen Mut mehr bräuchte? Und das darf man jetzt quasi nicht absolut verstehen, denn auch Mut ist ja ein wertvolles Gefühl. Und ich kann dann aber diesen Mut für andere Dinge verwenden, zum Beispiel den Mut falsch zu liegen, den Mut etwas zu probieren und das funktioniert nicht. Auch das braucht ja Mut. Den Mut doof auszusehen, den braucht es ja. Das ist auch eine intelligente Fähigkeit, mutig zu sein, den Mut in einen Markt zu gehen, den Mut an Kunden ranzugehen, die ich noch nicht kenne, all das braucht Überwindung. Und dann kann ich sie dafür verwenden und muss die Ressourcen nicht dafür wenden, in dem Gespräch mit meinen Kolleginnen auch noch Mut aufwenden zu müssen. Das macht Menschen müde und mürbe auf Dauer. Und den Luxus können sich die meisten Unternehmen gar nicht leisten.

Harald Smolak: Jetzt kommen wir zu einem wichtigen Punkt. Du hast dein Buch Chief Energy Officer genannt. Und alles, was du jetzt erzählt hast, würde ich jetzt auch gerne in einer gewissen Weise zusammenfassen, dass eine Unternehmenskultur, wie du sie jetzt beschrieben hast, ein unglaublicher Energiegeber ist, und zwar ganzheitlich bezogen auf das Momentum der Masse. Also Energie, die nicht nur spürbar ist in den Chief Executive Officers oder wie sie alle genannt werden, Geschäftsführer,, sondern auch innerhalb der Mannschaft. Und deswegen die Frage, ist das der Grund, warum du es so bezeichnet hast?

Boris Diekmann: Ich glaube, der Titel hat natürlich hat ein kleines Augenzwinkern, aber der Titel ist im Grunde eine Einladung, eine Frage. Wie würde ich führen, was würde ich jetzt tun, wenn ich mich als der oder die Chief Energy Officer des Unternehmens betrachten würde? Was wäre möglich, wenn wir uns alle als Chief Energy Officer betrachten würden? Das heißt, wenn wir anfangen zu sehen, dass die menschliche Energie die eigentliche Währung ist, in der wir konstant handeln. Denn ohne diese menschliche Energie, die es in verschiedenen Frequenzen gibt, genauso wie Strom in unterschiedlichen Frequenzen gibt, läuft ja gar nichts. Wenn diese Energie flach ist, müde, erschöpft, frustriert, dann kann ich die beste Strategie der Welt haben. Ich war vor vielen Jahren mit einem Telekom-Unternehmen, wir hatten einen Workshop, der begann und dann kam, der CFO herein, ein bisschen verspätet, der Flieger war verspielt und sagte, oh mein Gott, was ist los? Ich habe unser Strategiepapier auf dem Flugzeug sitzen liegen lassen. Der CFO sagte, das macht doch nichts. Die anderen haben doch sowieso die gleiche Strategie. Das ist nicht das, wo wir gewinnen. Wir gewinnen in der täglichen Umsetzung. Was bedeutet das jetzt? Wie würde ich an ein Gespräch, an ein Meeting rangehen, wenn ich sage, die menschliche Energie hier in einer höheren, gesünderen Frequenz zu halten oder sie zu verwandeln, wenn ich darauf achten würde und wenn ich sage, das ist meine Priorität Nummer eins, worauf würde ich dann achten? Wie würde ich dieses Meeting gestalten? Was wird meine Rolle hier drin? Denn alles fängt dort an und das ist im Grunde die Einladung. Wie würde ich dann führen? Denn all die Verhaltensweisen, die wir uns wünschen, sind darin begründet. In höheren Energiezuständen sehen wir diese Verhaltensweisen. Das Eigenverantwortliche, Teamwork, Kreativität, go the extra mile. All diese Dinge muss ich Menschen nicht beibringen. Wir sind so geboren. Also für diejenigen von unseren Zuschauern, die schon mal ein Kind gesehen haben oder schon mal eins waren oder die Kinder haben, wenn ein Dreijähriger, Vierjähriger anfängt, Fahrrad zu fahren, dann wird er oder sie hinfallen. Was macht ein Kind dann? Es steht auf, setzt sich wieder drauf. Gut, und dann fällt es wieder hin. Was macht das Kind? Mit oder ohne Eltern steht es auf, bis das Ding irgendwo steht. Mit dieser Fähigkeit sind wir geboren. Die steht uns weiterhin zur Verfügung. Sie ist nun manchmal abgeriegelt, weil wir auch andere Dinge gelernt haben. Zeigt bloß niemandem, dass dein Fahrrad hingefallen ist. Das könnte für dich schwierig werden. Wenn wir das berücksichtigen, dass diese Intelligenz uns jederzeit zur Verfügung steht, dann wird das mein eigentlicher Job. Und Unternehmenskultur ist eigentlich menschliche Energie. Man könnte in dem Buch das Wort Energie durch Kultur ersetzen. Und so ist es auch gedacht. Es zahlt ein auf die persönlichen Überlegungen von Führungskräften und überhaupt Menschen im gesamten Unternehmen, auch außerhalb von Unternehmen. Es ist nicht nur für Führungskräfte gedacht. Und doch zahlt es eben ganz stark ein auf Unternehmenskultur, denn die beginnt beim Individuum Man könnte sagen, es gibt gar keine Unternehmenskultur. Es gibt dich und mich. Und gleichzeitig ist es wahr, dass wir natürlich in unserer gegenseitigen Präsenz uns anders fühlen, als wenn wir alleine wären oder mit anderen. Also beides ist gleichzeitig da. Da kommt der Begriff her.

Harald Smolak: Also das war ja schon fast ein Schlusswort, lieber Boris. Ich danke dir sehr für den Erkenntnisgewinn. Und ich glaube, wenn man es zusammenfassen würde, dann heißt es möglicherweise, die Achtsamkeit entwickeln, die es braucht, um sich in diesem Spannungsfeld zwischen Leistung und dem Umgang miteinander, immer wieder versuchen, ein bisschen zu kalibrieren und nachzudenken, wo braucht es noch etwas? Es gibt keine Muster, die sagen, nur wenn man es so macht, wird es gut, sondern es kommt immer auf die Wahrnehmung an und vielleicht auch auf Rückmeldungen und Selbstreflexionen, die man braucht, um an diesen Themen zu arbeiten, im Sinne des Unternehmen weiter gemeinsam nach vorne zu entwickeln.

Boris Diekmann: Das würde ich zu 100 Prozent unterschreiben, denn ich kann nur das gezielt gestalten, was überhaupt bewusst ist. Und mit Bewusstsein kommt Wahl. Genau darum geht es. Es geht darum, das Bewusstsein zu erhöhen beim Einzelnen und in der Organisation. Was für ein schönes Gespräch.

Harald Smolak:  Ihnen liebe Zuhörer, vielen Dank, dass Sie dabei gewesen sind. Melden Sie sich doch oder schreiben Sie Ihre Gedanken dazu. Wir würden uns freuen. Und ich freue mich auch, wenn Sie in unserem dritten Teil dabei wären. Da geht es um bewusst-Führen. Und freue mich, dass Sie wieder so zahlreich dabei sind. Bis bald bei Atreus. Vielen Dank.

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