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Post-Merger-Integration: Erfolgsfaktor Unternehmenskultur
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Expertentipps und Best Practices zur effektiven kulturellen Integration
Die Integration von Unternehmen nach einer Fusion oder Übernahme birgt große Herausforderungen. Oft scheitern M&A-Transaktionen an kulturellen Unterschieden und unzureichenden Strategien. Erfahren Sie im Expertentalk mit Atreus Direktoren und Heidrick & Struggles Experten, welche Maßnahmen entscheidend sind, um eine Post-Merger-Integration erfolgreich und nachhaltig zu gestalten.

Im Folgenden finden Sie eine Teilabschrift des Expertentalks, die aus Gründen der Deutlichkeit bearbeitet wurde.
Petra Becker: Sehr geehrte Damen und Herren, wir widmen uns heute einem wunderbaren Thema. Post-Merger-Integration ist entscheidend für den Erfolg von M&A-Transaktionen und Firmenübernahmen und somit von höchstem Interesse für Vorstände, Unternehmensentscheider, Beiräte und Investoren. Gezielte Transaktionen bieten Unternehmen die Chance, ihr Marktpotenzial zu erweitern und ihr Wachstum voranzutreiben. Wir von Atreus gehen davon aus und auch viele Studien belegen, dass in den nächsten Jahren M&A-Transaktionen sowohl im Volumen als auch in der Häufigkeit zunehmen werden. Und oftmals zeigte sich in der Vergangenheit auch, dass diese Übernahmen scheiterten. Das heißt, die Synergien wurden nicht gehoben, die finanziellen Erwartungen erfüllten sich nicht und oftmals sprach man auch weiterhin von zwei getrennten Teams. Heute wollen wir im Expertentalk darüber sprechen, mit Blick in die Vergangenheit – was sind die Stolpersteine – und wir blicken gezielt nach vorne – was sind die Hebel, die Maßnahmen, damit man erfolgreich ist und sich das, was man sich erhofft und in der Strategie vorab ausarbeitet, dann auch wirklich materialisiert. Wir möchten Ihnen damit konkrete Impulse geben, wie eine Integration von Anfang an erfolgreich funktionieren kann. Im Gespräch dabei sind unsere Kollegen von Heidrick & Struggles, Boris Diekmann und Jens Vogt, zwei absolute Experten im Bereich Leadership Development und Organisationsentwicklung, und mein werter Kollege aus dem Atreus Direktorenkreis, Patrick Julius.
Patrick, ich möchte auch gleich mit dir beginnen, bevor wir tiefer einsteigen und über die Expertise sprechen, die Boris und Jens in dem Thema mitbringen. Die Aufgabe PMI ist ein klassisches Atreus Mandat. Sie ist Bestandteil unseres Geschäftsmodells und du hast ja in der Vergangenheit bereits einige Projekte hier betreut. Du konntest sehr viel Erfahrung sammeln, hast Feedback von Kunden erhalten. Was sind die Motivationen unserer Kunden, Atreus ins Mandat zu nehmen und wie sind deine Erfahrungen und Lessons learned aus diesen Themen?
Patrick Julius: Vielen Dank, Petra. Ich durfte im letzten Jahr zwei PMI-Mandate betreuen, die auch beide relative Langläufer waren. Das waren einmal mindestens zwölf Monate, das eine dauerte bis zu 18 Monate. Das zeigt auch schon, wie komplex diese Mandate sind. Das erste war eine Übernahme eines ausländischen Unternehmens durch einen deutschen Maschinenbauer, wo eine Post-Modular-Integration vorgenommen werden sollte, über Sprachbarrieren hinweg. Da war noch eine Besonderheit, die da zum Tragen kam, und es war eher eine klassische Beauftragung, so wie sie in den meisten Fällen erfolgt. Der Kunde beginnt mit einem Projekt und kommt irgendwann nicht mehr weiter. Der Kunde hatte mich vorher schon gekannt, meldete sich dann bei mir und sagte,: “Wir haben hier ein Thema, wir brauchen jemanden, der diese PMI verantwortet, der das Projekt übernimmt., so wie es aufgesetzt war.” Es gab schon von Anfang an Probleme bei der Sprache, Sprachbarrieren. Es wurde versucht, über Englisch, also eine dritte Sprache, eine Integration voranzubringen, was gerade im produzierenden Umfeld sehr schwierig ist, wenn man letztich auch die Mitarbeiter in der Produktion erreichen möchte. Wir haben einen Manager aus unserem Netzwerk gefunden, der die Expertise mitbrachte, schon mehrere Post-Merger-Integrationen erfolgreich umgesetzt hatte, und der sowohl Deutsch als auch die Sprache des Unternehmen und der Mitarbeitern vor Ort sprach. Es war dennoch ein sehr komplexes Thema, alle Belange unter einen Hut zu bekommen, aber letztlich ist das Projekt zum letzten Jahr ausgelaufen und man kann sagen, dass es trotz aller Widrigkeiten erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Ich glaube, auf die Verbesserungsmöglichkeiten gehen wir ja gleich noch im Detail ein.
Petra Becker: Also unterm rollenden Rad auf das Thema aufgesprungen, super.
Patrick Julius: Das andere Thema, das mich im letzten und sogar schon im vorletzten Jahr begleitet hat, war etwas ganz anderes. Es war so, wie wir es uns eher wünschen würden, dass uns nämlich ein Kunde schon von Anfang an mit reinnimmt. Es war ebenfalls ein mittelständisches produzierendes Unternehmen in Deutschland, das anorganisch wachsen wollte. Er nachm uns von Anfang an mit rein in den gesamten M&A-Prozess, auch dabei das passende Target auszusuchen. Wir waren mit unserem Manager, der aus unserem Netzwerk dort im Einsatz war, bei der Due Diligence dabei. Der größte Teil des Projekts war auch in diesem Fall die Post-Merger Integration. Interessant war, dass es sich um zwei Unternehmen handelte, die in einem jahrzehntelangen Mitbewerberverhältnis standen. Und auf einmal wurde das eine vom anderen übernommen. Und wie das immer so ist, die Synergieeffekte auf dem Papier sind sicherlich da und natürlich die Motivation, auch letztendlich diese Akquisition vorzunehmen. Aber es waren auch viele Workstreams. Ich glaube, es wurde von Anfang an von allen Teilnehmern zunächst unterschätzt, welche Themen letztlich bearbeitet werden müssen. Obwohl sowohl eine räumliche Nähe als auch eine produktspezifische Nähe da waren, verhielten sich die beiden Belegschaften eher reserviert. Es war ein ziemlicher Effort, diese Post-Merger Integration erfolgreich abzuschließen. Aber wie dem auch sei, es macht Spaß, diese Themen anzugehen, ob wir jetzt einfach kalt ins Wasser geworfen werden und von Anfang an mit unterstützen können. Es war wirklich eine Besonderheit, dass wir von Anfang an mit dabei waren. Ich glaube, wir konnten ganz viel zum Erfolg beitragen. Aber ich bin mir sicher, dass man es an der einen oder anderen Stelle auch vielleicht noch etwas anders, vielleicht auch etwas besser hätte machen können. Aber das ist ja sicherlich etwas, worüber wir heute sprechen.
Petra Becker: Ja Patrick, lass mich den Ball aufnehmen, dass man es hätte besser machen können. Man sagt, dass ungefähr ein Drittel der Mergers scheitern und laut Studien nur 80 Prozent das volle Potenzial ausschöpfen. Das heißt, man macht vorher eine Strategieentwicklung, man widmet sich den Zahlen, Daten, Fakten, man errechnet sich sehr viel. Ich glaube, das Management legt immer sehr viel Hoffnung auf dieses Thema. Und die Realität sieht dann ganz anders aus. Jens, du mit deiner jahrzehntelangen Erfahrung, was sagst du zu dieser Thematik? Was sind die klassischen Stolpersteine oder auch die blinden Flecken, die das Management am Anfang nicht sieht?
Jens Vogt: Was mich immer wieder fasziniert, ist die eher horizontale Lernkurve über die letzten, du sagst Jahrzehnte. Also das Thema Post-Merger-Integration ist nicht neu. Und aus meiner Sicht ist der blinde Fleck hier ganz klar, dass die Unternehmenskultur, die Menschen in diesen Veränderungsprozessen, in den Transformationsprozessen zuallerletzt beachtet werden. Weil, wenn wir sehen, wie eine Post-Merger-Integration klassischerweise läuft, also bei Käufen, Übernahmen, Verschmelzungen, wird meistens vorrangig auf Synergien geschaut, den Bereichen Prozesse, Kosten, Organisation, Technologie, Produkte, Service und so weiter.
Und während die Potenziale in diesen Bereichen natürlich den offensichtlichen Return on Invest einspielen sollen, wird die Frage der Unternehmenskultur oft zurückgestellt und wird überhaupt erst adressiert, wenn die harten Themen hoffentlich erfolgreich bearbeitet wurden. Und das, was wir dahinter vermuten, ist so Art unausgesprochener Glaubenssatz. Nämlich PMI-Erfolg entsteht durch Strategie plus Operations plus Kultur und Menschen. Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Und diese Formel ist aus meiner Erfahrung ganz klar überholt und ich würde sogar sagen ein echter Irrtum.
Jens Vogt: In unserer heutigen Realität geht eher eine Rechnung auf, die heißt: “PMI-Erfolg heißt Strategie plus Operations mal Kultur hoch drei.” Ich bin davon überzeugt, dass für eine effektive Integration Kultur an erster Stelle stehen muss, also nicht zeitversetzt nach hinten verlagert, sondern viel früher im Prozess beginnt, so ähnlich wie du es, Patrick, gerade von von eurem idealtypischen Projekt berichtet hast. Denn am Ende ist es die Kultur bei der Organisation, also wie sich die Menschen in beiden Organisationsteilen täglich fühlen und gemeinsam denken, die über den Erfolg und die Geschwindigkeit der gesamten Integration bestimmt und sie entweder beschleunigt oder bremst. Das sind die beiden Möglichkeiten. Also heißt: Wird die Kultur dem Ende überlassen, dann werden die Widerstände der Kultur, der existenten Kultur gerade in Zeiten von Unsicherheit und der Veränderung noch viel stärker greifen als sonst, und alle Bemühungen, eine neue gut harmonisierte “One Company “zu schaffen, sozusagen zunichte gemacht. Das ist die große Herausforderung. Und wenn man es andersrum denken würde, könnte man sagen, Organisationskultur könnte auch der Beschleuniger werden für die Erzielung eines erhofften Return on Invest. Also das vielleicht mal so als Beobachtung von meiner Seite.
Petra Becker: Spannend, Jens, heißt, du sagst, das Thema Kultur und Menschen steht oft an nachgelagerter Stelle. Wenn man Kultur hört, dann erinnert mich das immer ein wenig an Yoga. Das kann keiner so richtig greifen. Was bedeutet das eigentlich? Boris, du kommst ja mit Leadership und auch mit Organisationsentwicklung viel in Berührung. Was ist eigentlich da das zentrale Thema, dass man da Performance reinkriegt für einen Top-Manager?
Boris Diekmann: Was hat dieses Schlagwort Kultur mit Performance zu tun? Jens hatte gerade eben darauf hingewiesen. Ich würde gerne sagen, es gibt keine richtige Definition. Das ist auch gar nicht so wichtig, aber ich möchte drei Perspektiven anbieten.
Das eine ist schlicht und einfach. Kultur ist aus meiner Sicht die Qualität der Verbindungen zwischen den Menschen. Und in einem Unternehmen ist diese Verbindung über Jahre gewachsen. Wir kennen uns, wir haben uns kennengelernt. Wir kennen unsere Betriebssysteme, wie wir miteinander funken und umgehen. Das hat sich in gewisser Form in einer einigermaßen gesunden Kultur eingespielt und in einer anderen Kultur, die nicht besser und schlechter ist, anders. Es gibt Freundschaften, Verbindungen, Geschichten, die bei einem Zugehörigkeitsgefühl den Menschen Kraft und Motivation gibt. Wenn ich nun einen neuen Organismus schaffe, müssen diese beiden zusammengebracht werden. Und einer der blinden Flecken, auf die ihr gerade hinweist, ist, wenn ich ein Unternehmen ausschließlich als eine Maschine begreife, die ich zusammenstecken muss, da müssen die Finanzen, die IT-Systeme und so weiter, die Produkte zusammengesteckt werden, dann würde wahrscheinlich das, was wir bereits tun, ausreichen. So ist es aber nicht. Es ist ein lebendiger Organismus, der von Menschen jeden Tag gelebt wird. Jedenfalls ist das die einzige Spezies, die wir einstellen. Und Menschen zusammenzustecken, funktioniert eben nicht einfach mal so. Man muss aktiv etwas tun, damit das passiert. Also auf der einen Seite ist Kultur die Qualität der Verbindung. Auf der anderen Seite ist Kultur der Zustand, in dem wir sind. Das heißt, es gibt jeden von uns hier und all unseren Zuschauer:innen – würde ich sagen – mindestens in zwei Zuständen. Es gibt mich in einem höheren Gemütszustand. Typischerweise bin ich dann resilienter, performanter, habe mehr Ideen, bin offener für neue Gedanken. Und es gibt mich selbst und andere Menschen in anderen Gemütszuständen, die etwas tiefer anzusiedeln sind. Und typischerweise wird mein Sichtfeld, meine Intelligenz dann etwas schmaler. Und das Paradoxe daran ist – gerade dann, wenn wir am meisten Perspektive brauchen, haben wir häufig am wenigsten davon. Denn gerade in Merger-Acquisition-Situationen, in der Post-Merger-Integration, gibt es eine Reihe von Sorgen, Ängsten, Ungewissheiten, das ist quasi akzentuiert. Und genau da sollen wir die schwierigsten Probleme lösen.
Und dann kommt genau da die Kultur ins Spiel …
„Denn am Ende ist es die Kultur bei der Organisation, also wie sich die Menschen in beiden Organisationsteile täglich fühlen und gemeinsam denken, die über den Erfolg und die Geschwindigkeit der gesamten Integration bestimmt und sie entweder beschleunigt oder bremst.“