Expertentalk HR
Zeit für Führung
Leadership now, mit Jens Vogt
Darüber spricht Atreus Partner und Direktor Harald Smolak unter anderem im Expertentalk mit Jens Vogt, Lead Partner Heidrick Consulting D|A|CH, Heidrick & Struggles:
- Leistungskultur und Führung sind eng miteinander verknüpft.
- Verletzlichkeit in der Führung kann als Stärke interpretiert werden.
- Transaktionale und transformale Führung verbindet kurzfristige Effektivität mit langfristiger Orientierung.
- Unternehmenskultur ist entscheidend für den Unternehmenserfolg. CEOs sollten aktiv in ihre Entwicklung investieren.
- Leistungskultur ist ambivalent Führungskräfte müssen die Balance zwischen Leistungsdruck und Motivation halten, indem sie die Unternehmenskultur aktiv gestalten.
- Herausforderungen für Unternehmen, Mitarbeiter ins Büro zurückzubringen.
- Führung ist kontextabhängig, beeinflusst durch externe Einflüsse und technologischen Fortschritt.
- Die Bedeutung der Persönlichkeit in der Führungsrolle – ein Plädoyer für eine Vielfalt von Führungsansätzen.
- Die Unterscheidung zwischen Perfektion und Exzellenz.
- Die Bedeutung der inneren Haltung von Führungspersönlichkeiten.
Erfahren Sie mehr im Expertentalk:
„Es hat sehr viel mit dem kulturellen Umfeld zu tun, ob Schwäche gezeigt werden kann oder nicht. In eher konservativen Umfeldern ist das sicherlich noch eine große Herausforderung. Und gleichzeitig haben sich die Zeiten auch da ein bisschen gewandelt, dass Menschen Größe haben und Stärke zeigen, öffentlich auch eine Schwäche einzugestehen.“
Im Folgenden finden Sie eine Teilabschrift des Expertentalks, die aus Gründen der Deutlichkeit bearbeitet wurde.
Harald Smolak: Herzlich Willkommen bei Atreus zu unserem Expertentalk. Heute haben wir das Thema Führung. Zeit für Führung. Mein Name ist Harald Smolak. Ich beschäftige mich mit den Themen Personalmanagement und Healthcare, Life Science und Chemie. Wozu, wofür Führung? Wir bewegen uns in Zeiten größter Umbrüche. Führung ist noch wichtiger in diesen Zeiten. Und dazu habe ich einen Experten, meinen geschätzten Kollegen Jens Vogt eingeladen.
Jens ist nicht nur Partner bei Heidrick & Struggles Consulting für die Länder Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er beschäftigt sich auch sehr stark mit den Themen People Development, Team Excellence und Kultur in der Transformation. Jens hat ein Buch geschrieben. Ich bewundere dich, Jens, dass du die Zeit dafür gefunden hast neben deinen Führungsaufgaben. Und es gibt ja schon viele Bücher über Führung. Und was mich ganz besonders bewegt hat als Manager und Direktor für Interim Management: Du hast den Titel “Lead now – Wirksam führen im 21. Jahrhundert” dafür gewählt und es ist ein Praxis Guide. Wir haben drei Episoden in unserem Expertentalk “Zeit für Führung” und heute sprechen wir über Leadership Matters. Jens, woher kommt die Motivation, so viel Zeit in das Schreiben dieses Buchs zu investieren?
Jens Vogt: Danke, lieber Harald. Es ist mir eine große Freude, mit Dir heute über eines meiner Herzensthemen zu philosophieren und ich finde mit dem Titel dieser Veranstaltung “Zeit für Führung” haben wir bezüglich der Mehrdeutigkeit dieses Begriffs im Grunde schon den Nagel auf den Kopf getroffen, weil wir damit gleich mittendrin sind in der Komplexität der heutigen Zeit. Der Begriff ist mehrdeutig, je nach Betonung und Sinngebung. Man könnte es interpretieren als “jetzt wird es aber Zeit für Führung”, also eher die die mahnende Variante. Man könnte aber auch sagen: Wir nehmen uns in diesem Gespräch heute eine wertvolle Stunde Zeit für das wichtige Thema Führung und das hoffentlich gemeinsam mit ganz vielen interessierten Zuschauern und Zuhörern. Oder man könnte auch interpretieren: Führung braucht Zeit. Also Zeit, die wir als Führungskräfte im Grunde nie haben, die wir uns immer nehmen müssen. Und das tue ich in der Regel freiwillig, also ohne prozessualen Druck oder gar Zwang. Immer nur dann, wenn ich die investierte Zeit für Führung auch als eine Investition sehe, die dann einen entsprechenden veritablen Return on Invest verspricht und nicht als Zeitverschwendung interpretiert wird. Insofern liegt auf der Hand: Der Buchtitel ist eigentlich ins Deutsche perfekt übersetzt mit Zeit für Führung. Also hätte ich den damals auch schon auf dem Radar gehabt, hätte ich mich vielleicht umentschieden. Und ja, du hast gefragt, warum habe ich mir die Zeit genommen für das Verfassen meiner Gedanken in einem Buch? Also zum einen der Fairness halber: Ich habe das Buch nicht alleine geschrieben und ich habe es über einen sehr langen Zeitraum geschrieben. Und in diese Zeilen sind ganz viele Gedanken eingeflossen, die mich in meinem täglichen Geschäft, in der Arbeit mit Führungskräften immer wieder umtreiben und beschäftigen.
Vorweg geschickt Ich finde, das Thema Führung hat insgesamt noch viel zu wenig Aufmerksamkeit. Wenn wir überlegen, wie viel Zeit wir investieren in unsere Ausbildung, um uns fachlich so weiterzubilden, dass wir unsere Rollen ausfüllen können. Das Thema Führung lernt man weder in der Schule noch in der Ausbildung noch im Studium so richtig. Und häufig wird man dann irgendwann in eine erste Führungsrolle hinein befördert und muss dann auch automatisch seinen Weg in die Führungsaufgabe finden. Manchmal wird man dann Unternehmensseite noch ein bisschen unterstützt im Bereich Führungskräfte-Entwicklung, Leadership Programme. Aber man reagiert unterschiedlich darauf. Der eine oder andere ist vielleicht etwas talentierter im Bereich von Führung und für den anderen stellt das neben der fachlichen Aufgabe eine größere Herausforderung dar. Das insgesamt hat mich bewogen zu sagen Führung hat noch so viel Potenzial und gewinnt an Stellenwert. Aber da kommen wir sicher gleich noch mal etwas ausführlicher auf. Das war aber der wesentliche Treiber, weshalb ich mir die Zeit genommen habe, alles mal in Worte zu fassen und zu verschriftlichen.
Harald Smolak: Man könnte doch provokant sagen: Es gibt viele Firmen, die unglaublich erfolgreich sind. Ich denke jetzt an Elon Musk mit Tesla, Steve Jobs mit Apple. Wenn man deren Biografien liest, hat man schon manchmal ein Fragezeichen, ob das Repräsentanten guter Führungskräfte sind. Man könnte ja die Antithese formulieren: Wenn alles erfolgreich ist, dann muss ich nicht unbedingt eine exzellente Führungskraft sein. So ist das auch ein bisschen in deinem Buch beschrieben. Was denkst du dazu?
Jens Vogt: Ja, ein paar Gedanken dazu. Also zum einen ist es, glaube ich, an der Stelle einmal geeignet, zu unterscheiden zwischen einer Managementaufgabe und einer Führungsaufgabe. Ich glaube, wir sehen im Markt brillante Manager, die nicht zwingenderweise gute Führungskräfte darstellen. Und ich glaube, es gibt durchaus herausragende Geschäftsmodelle, die, um es mal etwas provokant zu formulieren, nicht durch herausragende Führung sehr erfolgreich sind, sondern trotz erfolgreicher Führung oder weniger erfolgreicher Führung, also trotz der Führung, die dort praktiziert wird. Insofern das ist, glaube ich, eine erste Differenzierung. Zum zweiten glaube ich, wir erleben hier einen tatsächlichen Zeitenwandel. Und die Frage ist: Die ganze Welt verändert sich. Es gibt sehr einschlägige Faktoren, die im Umbruch sind. Wir haben es mit einer deutlich größeren Komplexität in der Welt zu tun. Wir haben es mit einer deutlich größeren Veränderungs geschwindigkeit zu tun. Brauchen diese veränderten Rahmenbedingungen eigentlich auch eine andere Art von Führung? Also umgekehrt auf dein Beispiel zurückkommend: Wären diese Führungskräfte, wenn sie heute ihre Rolle beginnen würden, auch immer noch erfolgreich? Oder gilt der Satz, den Marshall Goldsmith mal in ein Buch gefasst hat “What got you here won’t get you there”. Also das, was bisher an Führung erfolgreich war, ist nicht zwingend das Erfolgsmodell von Führung in der Zukunft. Erreiche ich damit heute die aktuellen Zielgruppen, vor allem die nachwachsenden Generationen? Da würde ich ein großes Fragezeichen dran machen.
Harald Smolak: Ja, man sieht das ja auch am Beispiel der Führungskräfte wie Jack Welsh, der damals der Manager schlechthin war. Die hätten ja heute wahrscheinlich unter den Rahmenbedingungen, die man heute vorfindet, nicht den Erfolg, den sie damals erzielt haben. Man weiß es nicht, aber möglicherweise nicht.
Jens Vogt: Und das meine ich mit “Ich glaube, da haben sich die Märkte verändert”. Zum einen in Richtung Anspruchshaltung. Was erwarte ich von Führung? Ich würde mal sagen, wenn ich nur auf mich gucke, als ich meine erste Ausbildung vor mittlerweile fast 30, 35 Jahren gemacht habe, dass das, was ich mir in dem Rahmen der Ausbildung habe bieten lassen oder toleriert habe, wie man mich führt, das würde sich heute kaum ein Praktikant auch nur drei Tage angucken. Also da gibt es eine spürbare andere Erwartungshaltung von Mitarbeitenden, vor allem in den nachwachsenden Generationen, wie Führung auszusehen hat. Und das paart sich mit einem sehr drastisch veränderten Arbeitsmarkt. Also die gerade zitierten nachwachsenden Generationen haben natürlich eine andere Wahlmöglichkeit. Dazu gibt es Statistiken: 1990, als ich mich das erste Mal beworben habe, gab es statistisch 1,7 Rollen zur Auswahl. Also wenn ich einen guten Lebenslauf zu bieten hatte, konnte ich mich quasi aufgerundet zwischen zwei Arbeitgebern entscheiden. Statistisch sind wir heute in Richtung drei, vier und prognostisch Richtung 20 27 mit 5,4 unterwegs. Also man erwartet eine deutlich größere Auswahlmöglichkeit, was für die Unternehmen heißt: Ich muss mich attraktiver am Markt machen, um die Top-Talente für mich gewinnen zu können. Und wenn ich das paare mit einer anderen Statistik – Gallup seit vielen Jahren unterwegs im Bereich Mitarbeiterzufriedenheit: Der nach wie vor am häufigsten genannte Grund für Kündigungen ist die Unzufriedenheit mit dem direkten Vorgesetzten also, der geflügelte Satz “People join companies and leave bosses” ist so wahr wie nie zuvor. Und das kann man sich immer weniger erlauben. Das gepaart mit diesem enger werdenden Arbeitsmarkt, das ist schon drastisch. Und ich bin ehrlich gesagt bei diesen Statistiken immer wieder erstaunt über die quasi horizontale Lernkurve. Die Gründe, die bei Gallup angeführt werden, sind seit über zehn Jahren die gleichen. Also ich glaube, es muss sich im Bereich Führung spätestens jetzt etwas tun, um zukunftsfähig Talente für sich gewinnen zu können und die guten Leute in seiner Organisation zu behalten.
Harald Smolak: Ja also, Talente, Talent-Management haben einen hohen Stellenwert. Jetzt muss man dazu sagen, eine Generation, die Generation X, geht langsam aus dem Markt raus. Man muss auch sagen, unser Fokus bei Atreus ist der gehobene Mittelstand. Ich weiß nicht, ob Konzerne das auch so erleben, aber der gehobenen im Mittelstand hat mit den Themen, die sie operativ erfahren, so viel Energie und Zeit investiert – das ist eine Hypothese von mir, die ich tagtäglich erlebe – dass man das Thema Nachfolgeplanung und Führungskräfte-Nachfolgeplanung etwas vernachlässigt hat. Wohl wissend, dass man seit zehn Jahren oder noch länger darüber spricht, dass uns ein beträchtlicher Teil von Talenten, erfahrenen Führungskräfte im Markt aufgrund ihres Alters verlassen. Und dennoch ist es ein Thema geworden, das erst jetzt ernsthaft angegangen wird. Ja, und dazu glaube ich, wie du das auch sagst, dass es wichtig ist, dass sich die Unternehmen bei ihren Talenten bewerben. Im Gegensatz zu früher, als man sich sehr stark als Bewerber andienen musste, um dem Entscheider, dem Unternehmen zu gefallen. Also das war zumindest zu meiner Zeit so. Heute ist es fast in die andere Richtung geschwappt. Du hast eine interessante Statistik in deinem Buch erwähnt, dass ein beträchtlicher volkswirtschaftlicher Verlust eben durch schwache oder schlechte Führung entsteht. Man macht das ja immer an Ergebnissen fest. Im Vertrieb kann man so schön an Ergebnisse ermitteln, ob einer gut oder schlecht ist. Wenn einer einen guten Umsatz macht, dann ist er gut. Wenn er weniger Umsatz macht, na ja. Vielleicht kannst du dazu noch etwas erzählen: Was entgeht uns denn da durch schlechte Führung, laut Statistiken?
Jens Vogt: Vielleicht kann ich das sogar noch verstärken, was du gerade sagtest. Zunächst mal, es gibt einige bekannte Zukunftsforscher, die alle mehr oder weniger mit der gleichen Botschaft unterwegs sind. Sie prognostizieren, dass in den nächsten zehn Jahren ungefähr sechseinhalb Millionen Menschen aus dem deutschen Arbeitsmarkt verschwinden, weil viel mehr Menschen in den Ruhestand gehen, als junge Menschen nachrücken. Wir stehen jetzt quasi vor der Massenverrentung der Babyboomer-Generation innerhalb der nächsten zehn Jahre. Und selbst wenn man alle politischen Programme – mehr Frauen nach der Mutterschaft wieder zurück in die Jobs, mehr qualifizierte Einwanderer in den Arbeitsmarkt integrieren usw. – einbeziehen würde, entsteht am Ende eine aus meiner Sicht ziemlich verstörende Prognose. Je nachdem wie man die Statistik auswertet, gibt es immer noch zwischen drei und fünf Millionen unbesetzte Rollen. Und das ist zunächst nur die reine Statistik. Wenn man das paart mit dem, was ich gerade schon zitierte, heißt das, ich kann mir das als Organisation immer weniger erlauben, gute Talente, Top-Leister zu verlieren durch die Tatsache, dass Menschen einfach mit meiner Art und Weise von Führung unzufrieden sind. Also dieses Zitat “People join companies and leave their bosses” ist eigentlich nicht mehr tragbar, weil ich natürlich berücksichtigen muss, ich verliere eingearbeitete gute Leistungsträger. Ich muss diese nachbesetzen. Die Rekrutierung kostet in der Regel und es kostet auch bis jemand an der Stelle wieder produktiv ist, da wo der Vorgänger oder die Vorgängerin das Unternehmen verlassen hat. Das sind Unsummen, die da zu Buche schlagen, die die Organisationen im Grunde mitzutragen haben. Also schlechte Führung hat Auswirkungen auf diesen drei Ebenen, und das ist immer weniger tolerabel.
Harald Smolak: Jetzt würde ich gern einen kleinen Schwenk zur Praxis machen. Wir haben ja auch gute Beispiele in der Wirtschaft, aber auch im Sport. Wenn man zum Beispiel gerade im Fußball nachsieht, wer mehr und wer weniger gehandelt wird – Du hast in deinem Buch beispielsweise auch Jürgen Klopp erwähnt. Wenn du ihn beschreiben würdest, was ihn ausmacht, nicht nur, dass er erfolgreich ist. Vielleicht ist er auch deswegen erfolgreich, weil es ihm gelingt, ein guter Leader zu sein. Ja, was macht denn der anders als Manager oder Trainer, die nicht so ein gutes Händchen dafür haben?
Jens Vogt: Ein tolles Beispiel, wie ich finde. Und jetzt gerade noch mal wieder aktueller denn je, weil seine gerade kürzlich getroffene und kommunizierte Entscheidung für mich ein Musterbeispiel ist für gute Führung, also sich – und das gehört zu guter Führung heute dazu – auch durchaus verletzlich und authentisch zu zeigen, also die eigene Schwäche einzugestehen, einzuräumen und öffentlich zu formulieren, dass die Batterien zu Neige gehen und die Energie einfach nicht mehr die gleiche ist. Ja noch vor Jahren hatte in dieser Rolle. Das finde ich bemerkenswert und das ist nicht selbstverständlich. Aber um deine Frage etwas etwas größer zu beantworten: Was macht erfolgreiche Führungskräfte wie Jürgen Klopp so herausragend? Ich finde, es gelingt ihnen sehr gut, sagen wir mal, das klassische Führungsverständnis von transaktionaler Führung, also eine kurzfristig wirksame, eher aufgabenfokussierte Führung, zu verbinden mit dem, was wir als transformationale Führung bezeichnen, also eher langfristig orientiert, eher menschenorientiert, eher entwicklungsorientiert und da dieses Spektrum, diese Klaviatur in voller Breite zu spielen. Also nicht einen Führungsstil zu perfektionieren, sondern einen sehr situationsangemessenen Führungsansatz ins Rennen zu bringen. Und Situation heißt hier in der Hinsicht sowohl Kontext, also mit was für eine Situation habe ich es hier gerade zu tun, als auch personenbezogen: Mit wem habe ich es hier zu tun? Welche Person unter meiner Führung braucht eigentlich was und welchen Führungsansatz? Also nicht quasi, man sagt da so schön: Wenn einer nur einen Hammer hat, sind alle Probleme Näge l. Das also deutlich zu erweitern in einen sehr adäquaten Werkzeugkasten, um in der richtigen Situation der richtigen Person gegenüber das zu geben, was von Führung gerade erwartet wird. Und mein Eindruck ist, dass es einem Jürgen Klopp als Beispiel sehr gut gelingt, jeweils in der Situation einen auf die Menschen zugeschnitten Führungsansatz zu applizieren.
Harald Smolak: Sehr interessant. Das Thema Verletzlichkeit, Menschlichkeit ist ja ein Thema, das aus meiner Sicht in früheren Zeiten für Führungskräfte, für Geschäftsführer eigentlich tabu war. Ja keine Schwäche zeigen, um nicht als schwach abgewertet zu werden. Ja, und du sagst jetzt also, (Ich habe das natürlich auch gelesen als Fußballfan mit Jürgen Klopp, und ich fand das sehr mutig.) da gehört Mut dazu, aber auch ein gewisses Vertrauen, Vertrauen in sich selber und wahrscheinlich Vertrauen auch gegenüber denen, die für einen wichtig sind. Das ist ein Thema, das ist eine gewisse Ambivalenz für Leute, die ein großes Unternehmen führen müssen: In dem Spannungsfeld zwischen “zeigen, da geht’s lang, roter Faden, Fokus” und auf der anderen Seite den Mut zu haben, bestimmte Themen nicht glasklar beantworten zu können. Also nicht auf jedes Thema sofort eine richtige – in Anführungszeichen – eine gute Antwort zu haben. Ja, ist denn da schon die Zeit reif dafür aus deiner Sicht? Auch im Kreise der Stakeholder? Ich meine, wir haben es ja mit Private Equity zu tun. Wir haben es mit allen möglichen Leuten zu tun, die jedes Wort von Managern analysieren; in der Politik ist es übrigens genau das Gleiche. Und das natürlich auch bei Pressekonferenzen – Man braucht sich nur die Pressekonferenzen von FC Bayern anzusehen – ein sehr, sehr heißer Ritt, da Rede und Antwort zu stehen und die richtigen Worte zu treffen. Ist denn dafür die Zeit schon reif, dass man das machen kann?
Jens Vogt: Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen, das hat sehr mit dem kulturellen Umfeld zu tun. Wo kann ich mir das erlauben, wo ist das opportun und wo nicht? In eher konservativen Umfeldern ist das sicherlich noch eine große Herausforderung, sich verletzlich zu zeigen. Und gleichzeitig glaube ich, dass sich die Zeit auch da ein bisschen wandelt, dass für mich Menschen Größe haben und Stärke zeigen – und so interpretiere ich das tatsächlich – öffentlich auch eine Schwäche einzugestehen. Bleiben wir bei dem Beispiel Jürgen Klopp. Ich habe an keiner Stelle irgendwo gehört, dass jemand gesagt hätte: “Was für ein Weichei”. Eine öffentliche Äußerung: “Was für ein Waschlappen”, würde keinem über die Lippen kommen, es wird eher als Ausdruck, als Zeichen von Stärke gewertet, wenn jemand auch seine eigenen Grenzen anerkennt. Und damit ist er natürlich kulturell im Sinne von Vorbild außerordentlich wirksam. Also jemand, der in seiner Persönlichkeit Stärke an so vielen Stellen bewiesen hat am Spielfeldrand, um bei dem Beispiel zu bleiben oder auch im Unternehmensalltag, wenn so jemand tatsächlich mal einräumt: “Auf diese große Frage, die sich uns jetzt hier spontan als Herausforderung im Markt oder im Geschäft stellt, habe ich spontan noch keine plausible, hundertprozent richtige Antwort. Da muss ich drüber nachdenken. Ich muss mich beraten”, daran ist aus meiner Sicht erst mal nichts falsch und es ist vielleicht sogar wirksamer und glaubwürdiger, als sofort die vermeintlich richtige Antwort zum Besten zu geben. Also auch mal durchaus nachzudenken und sich intern beraten und dann mit einer guten Antwort kommen und sich das auch erlauben.
Harald Smolak: Jetzt haben wir gerade so eine Phase großer Restrukturierungen in Deutschland, die Automobilindustrie ist in der schwersten Krise, die Chemieindustrie befindet sich durch die hohen Energiekosten, Rohstoffe und so weiter in einem katastrophalen Zustand. Da sind Führungskräfte natürlich noch stärker gefordert, weil sie einerseits die Ergebnisse bringen und andererseits dadurch teilweise harte Entscheidungen treffen müssen in Richtung Mitarbeiterabbau, Fokus auf das Kerngeschäft und auf die wesentlichen Dinge. Ich habe gerade einen Artikel geschrieben über Hedgefonds, die solche Unternehmen in der Chemieindustrie maßgeblich strategisch beeinflussen und Druck ausüben, schnellstmöglich Erfolge zu erzielen. Und zugleich besteht der Anspruch, exzellente Führung zu leisten, um die Leute bei der Stange zu halten, um sie zu motivieren, Leistung zu erbringen. Gerade in einer Zeit, in der Leistung gar nicht mehr so en vogue ist – es geht schon in der Schule los. Es ist schon fast so – zumindest empfinde ich so, dass Leistung in gewisser Weise einen schlechten Touch hat – vielleicht überziehe ich jetzt ein wenig. Wir brauchen also einerseits eine Leistungskultur mit Fordern und Fördern. Das hört sich toll an, ist aber natürlich auch ambivalent. Wie kann das gelingen? Ich will darauf hinaus, welche Stellhebel es gibt, die Führung wirksam machen, um einem Unternehmen den Erfolg zu bringen, den man sich erwartet?
Jens Vogt: Ich glaube, was du beschreibst, beschreibt tatsächlich genau diesen zeitlichen Übergang zwischen dem traditionellen Führungsverständnis, das ich vorhin mit “transaktional” beschrieben habe, und der Erweiterung um transformationale Führungsstile. Man setzt in der Praxis häufig noch effektive, kurzfristig wirksame Führung mit einer gewissen Härte gleich. Ich glaube, mittlerweile gibt es ordentlich Beispiele, wo die Tatsache, dass ich andere Töne anklingen lasse, indem ich Menschen inspiriere, indem ich Bilder vermitteln kann – und damit meine ich jetzt nicht nur die Kunst des Storytellings, sondern tatsächlich auch mit der Anziehungskraft von Zielzuständen zu arbeiten – wenn wir das für uns umgesetzt haben, dann wird das folgen und einen positiven Effekt auf uns haben. Also eher mit einem Zielzustand zu agieren, damit Menschen sich, nicht weil sie müssen, sondern weil sie wollen, mir und meiner Idee, meiner Strategie anschließen. Ich glaube, das ist ein völlig anderer Ansatz, den wir da erleben. Und Führung muss nicht immer mit Härte verbunden sein. Also das Einladen, manch einer spricht gerne sogar von Followership, also einem Zustand, in dem Menschen sich einer Idee anschließen und nicht durch Druck geführt werden. In der Marketingsprache ausgedrückt: Eher diesem Pull-Effekt folgen als gedrückt und gepusht zu werden. Also ich glaube da, da erleben wir gerade eine komplett unterschiedliche Herangehensweise und das hängt damit zusammen, aus meiner Sicht, dass wir heute messen können und dass der Unternehmenserfolg, in welchen Kennziffern man auch immer ihn messen möchte ist, hat einen relevanten Zusammenhang mit der Kultur einer Organisation oder auch mit dem Teilbereich einer Organisation, wie einem Bereich, einer Abteilung oder einem Team. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Performance im Markt und der Kultur eines Unternehmens. Wir haben in den letzten Jahren eine ganz spannende, zweimal wiederholte Befragung mit weltweit 500 CEOs zum Zusammenhang von Kultur-Fokus und wirtschaftlicher Leistung gemacht. Die Ergebnisse sind frappierend. Man kann in den Organisationen, die das explizit tun, in welchen die CEOs Zeit und Energie in Kultur investieren und nicht nur Geld, ein messbar besseres Ergebnis in verschiedensten Kategorien dokumentieren. Das ist also dieser Zusammenhang – wenn es Menschen gut geht, wenn sie sich motiviert fühlen, wenn sie sich gesehen fühlen, wenn sie das Gefühl haben, Vertrauen zu genießen, wenn sie das Gefühl haben, psychologische Sicherheit zu genießen – all das sind Beispiele für Kultur-Dimensionen – wenn die greifen, dann bin ich entsprechend leistungsmotivierter und leistungsbereiter. Diese Erfolgskette kann man fortsetzen. Wir wissen, dass Führung als Beispiel der größte singuläre Wirkungshebel für Kulturbildung ist. Wir sprachen eben schon über diese Bandbreite zwischen kurzfristig wirksamer und langfristig wirksamer Führung. Eine gute Bandbreite an Führungsstilen prägt eine leistungsmotivierende Kultur. Der Schatten der Führung – darauf werden wir in einem weiteren Teil dieser kleinen Serie noch mit meinen Kolleginnen und Kollegen eingehen – der ist weitreichend. Je höher sich jemand in der Hierarchie bewegt, könnte man sagen, desto mehr steht er im Lichtkegel der internen Öffentlichkeit und desto mehr wirft er einen eigenen Schatten in die Organisation, einen Wirkungsschatten. Will sagen, je höher in der Hierarchie, desto größer die Verantwortung, auch das kulturell gewünschte Verhalten vorzuleben. Und das ist nicht trivial. Und der Anspruch ist durchaus nicht ganz ohne. Also Führung prägt Kultur. Kultur ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Und dieses Bewusstsein wächst zunehmend in die Organisationen hinein, durch eine Professionalisierung der HR-Bereiche und durch ein wachsendes Wissen um diese ganzen Dynamiken.