A·lounge
„Neue Machtverteilung in der Automobilindustrie“
am 15. März 2018 in München
A·lounge „Neue Machtverteilung in der Automobilindustrie?“
Drohender Handelskrieg mit den USA, Dieselgate, Elektro-Flaute – bleibt die Automobilbranche das Aushängeschild der deutschen Industrie? Welche Marktanteile können sich junge chinesische Spieler sichern? Wann und von wem kommt das „Amazon für Mobilitätsdienstleistungen“? Und unter welchen Bedingungen haben die amerikanischen, europäischen und insbesondere deutschen OEMs gegen China überhaupt noch eine Chance?
Über diese brisanten Fragen diskutierten Automobilexperten bei einer exklusiven A·lounge am 15. März 2018 in der Gaszählerwerkstatt in München. In drei Kurzvorträgen und einer lebhaften Podiumsdiskussion unter Moderation der Atreus Automobil-Experten Stefan Randak und Dr. Harald Linné gaben führende Köpfe von Audi, Ford und IONITY einen spannenden Ausblick auf die künftige Machtverteilung in der internationalen Automobilindustrie.
Stimmen unserer Experten zur neuen Machtverteilung in der Automobilindustrie:
Kernthesen zur neuen Machtverteilung in der Automobilindustrie
1. In der Automobilbranche wehen viele rote Flaggen – und China hängt Deutschland zunehmend ab.
heute der größte automotive Markt, an zweiter Stelle folgen die USA, und Europa muss sich mit dem dritten Platz begnügen.“ Viele Newcomer stammen aktuell nicht mehr aus dem Silicon Valley, sondern aus China: Man denke nur an den global führenden Batterien- und Kraftwerkhersteller BYD. Zunehmend beteiligen sich chinesische Unternehmen in größerem Umfang an deutschen Herstellern – wie kürzlich bei Daimler geschehen. „Das dramatisch verfehlte Eine-Million-Ziel bei den Elektroautos, drohende Handelskriege, der Dieselskandal: Es ist fraglich, ob die Automobilbranche das Aushängeschild der deutschen Industrie bleiben kann“, sagt auch Dr. Harald Linné, Managing Partner und Mitglied des Executive Board bei Atreus. Die Experten von Ford, Audi sowie IONITY sehen ebenfalls viele rote Flaggen für die deutsche Automobilindustrie.
4. In der Zellen- und Batteriefertigung ist der Zug für die Europäer abgefahren.
Nimmt man Tesla aus, investieren Europa und die USA kaum in Zellen- und Batterietechnologie – anders als China, wo derzeit eine Rekordfabrik für Batterien entsteht, die selbst Tesla blass aussehen lässt. Auch Koreas Vormachtstellung dürfte bald bröckeln. Erst vor wenigen Tagen hat ein chinesischer Batteriekonzern ein Abkommen mit dem Rohstoffriesen Glencore geschlossen und sich den Zugriff auf ein Drittel der weltweiten Kobaltproduktion gesichert. Das ist kein Einzelfall und setzt Preise wie Wettbewerber unter Druck. „Bei der Fertigung von Batterien sind die Chinesen nicht mehr einzuholen. Für Europa und die USA ist der Zug längst abgefahren“, sagt ein Teilnehmer. Viele deutsche OEMs gehen lieber den kleinen Weg, um das notwendige Skillset zu entwickeln und zu erhalten. Dazu gibt es oft kleine Projekte, in denen die Batteriefertigung getestet wird, die Zellen werden dann zugekauft.
7. Die deutschen OEMs müssen Langstreckenmobilität sichern – sonst werden sie im Geschäft mit Elektroautos das Nachsehen haben.
Dr. Michael Hajesch hat Großes vor. Er ist seit 2017 Geschäftsführer der IONITY GmbH, einem Gemeinschaftsprojekt von BMW, Daimler, Ford und VW-Konzern. IONITY soll sich bis 2020 zum innovativsten Schnellladenetzwerk in Europa entwickeln und flächendeckend E-Ladestationen für die Langstrecke anbieten. Dazu kooperiert das Joint Venture mit Shell, OMV, Tank & Rast und weiteren großen Standortpartnern. 2020 sollen 80 bis 100 Ladestationen in Betrieb sein. „Entscheidend bei der Ladeinfrastruktur ist ein einfacher und einheitlicher Zugang für den Kunden“, sagt Dr. Hajesch. Die Ladestationen werden daher größtenteils direkt an der Autobahn liegen und einfaches digitales Bezahlen ermöglichen. Auch die Ladezeiten sollen in den kommenden Jahren deutlich sinken: „Laden = tanken“ lautet das Ziel von IONITY. „Wie alle Unternehmen ist auch IONITY auf Gewinne angewiesen um nachhaltig wachsen zu können. Wir sind der Überzeugung, dass sich mit einer perspektivischen Entwicklung der Elektromobilität auch unsere heutigen Investitionen positiv entwickeln“, so Hajesch. IONITY ist ein mutiger großer Schritt der OEMs, sind sich die Experten einig: Langstreckenmobilität ist ein Muss, um mit E-Autos erfolgreich sein zu können. In den Innenstädten könnte dagegen die Deutsche Telekom mit ihren Stromkästen für die notwendige Infrastruktur sorgen.
10. Der Strukturwandel in der Automobilbranche hat enorme Auswirkungen auf Gesellschaft und Industrie.
„Regionen wie das Saarland hängen fast ausschließlich von der Automobilbranche ab“, sagt Ford-CEO Herrmann. Für den dringenden Strukturwandel gebe es da nicht nur Applaus, aber „wir müssen ihn heute angehen.“ Gerade was die Belegschaft angehe, warteten große Umbrüche auf die Branche: „In der Assembly arbeiten Roboter heute ohne Sicherheitszelle Hand in Hand mit den Menschen – und die werden dort künftig in geringerer Zahl zu sehen sein.“ Die Transformation der Fertigungsstätten sei ein Mammutprojekt. Auch die erforderlichen Qualifikationen verändern sich grundlegend: Hier werden groß angelegte Ausbildungsprogramme notwendig sein – auch in Richtung Data Analytics, Deep Learning und künstliche Intelligenz. Die Hochschulen sind dabei besonders gefragt; bisher gibt es in Deutschland nur eine Handvoll Hochschulen, die Batterietechnologie als Studiengang anbieten. Viele konzentrieren sich derzeit noch auf die Grundlagenforschung, wie Ford-CEO Herrmann anmerkt.